Interview mit der Paderborner Soziologin PD Dr. Lisa Knoll
Die klimafreundliche und nachhaltige Transformation der Wirtschaft ist eine der großen Zukunftsaufgaben. PD Dr. Lisa Knoll, Soziologin an der Universität Paderborn, forscht im Verbundprojekt „Climate Finance Society” (ClimFiSoc) zur Klimafinanzierung in der mittelständischen Industrie. Dabei möchte sie die institutionellen Logiken dahinter verstehen, indem sie sich mit einem ganzheitlichen Blick den verschiedenen Akteur*innen nähert. Im Interview erklärt die Paderborner Wissenschaftlerin zudem, vor welchen Hürden Unternehmen in der Praxis stehen und warum die Region Ostwestfalen-Lippe den Transformationsprozess vorantreibt.
Frau PD Dr. Knoll, Sie untersuchen in Ihrem Teilprojekt „Klimafinanzierung in der mittelständischen Industrie“, wie Klimainvestitionen in mittelständischen Unternehmen ermöglicht werden können und welche Potenziale und Herausforderungen dabei bestehen. Welche konkreten Anreize bestehen bereits, um Zukunftstechnologien nachhaltig zu fördern und wie werden diese bisher angenommen?
Wir haben in unserem Forschungsprojekt unterschiedliche institutionelle Logiken der Klimafinanzierung identifiziert. Dabei haben wir festgestellt, dass Klimafinanzierung in mittelständischen Unternehmen in erster Linie durch Eigenmittel, Fördergelder und auch herkömmliche Bankkredite erfolgt. Der Finanzmarkt spielt für die Unternehmen in Ostwestfalen-Lippe kaum bis gar keine Rolle. Das zeigt eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen der sogenannten ‚Sustainable Finance Strategie‘ der Europäischen Union und dem, was man ‚regionale Klimafinanzierung‘ nennen könnte. Wir haben in der Region OWL viele Industrie- und Netzwerkinitiativen wie die Effizienzagentur NRW, Vereine wie InnoZent OWL und owl maschinenbau e.V. oder auch die Industrie- und Handelskammern beobachtet. Diese Akteur*innen treten als Vermittler*innen zwischen regionalen Banken, die die Fördergelder der NRW.Bank vertreiben, und Unternehmen auf und helfen dabei, komplexe Regulierungen in konkrete Projekte und Initiativen zu übersetzen. Für uns sind diese Initiativen und Netzwerke mit ihren Kompetenzen absolut zentral für das Thema der Klimafinanzierung, um konkrete Projekte voranzutreiben und Probleme zu lösen. Ein Beispiel ist die ,Circular Economy': Unternehmen gestalten ihre Produkte so, dass sie besser recycelt werden können, und entwickeln neue Geschäftsmodelle, die langfristig tragfähig sind. In diesem Sinne braucht die Klimafinanzierung nicht unbedingt einen ‚grünen Finanzmarkt‘, sondern vielmehr eine ‚grüne Gesellschaft‘, die grüne Produkte nachfragt und damit grüne Geschäftsmodelle möglich macht.
Trotz einer breiten Zustimmung gibt es auch Vorbehalte gegenüber Investitionen in Zukunftstechnologien. Worin liegt diese Skepsis begründet?
Unsere Beobachtungen zeigen: Skepsis gegenüber Photovoltaik-Anlagen, Flottenelektrifizierung oder Wärmepumpen seitens der Unternehmen gibt es kaum, wenn Investitionen sinnvoll sind. Ein wesentlicher Kritikpunkt seitens der Unternehmen ist jedoch die Bürokratie, die an den europäischen ,Green Deal' und an das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gestellt wurde und die aktuell zu seiner Reform führt – Stichwort: Omnibus-Verordnung. Wir haben versucht, diesen Konflikt zu verstehen, ohne ihn auf ein zu simples EU-Bashing zu reduzieren. Es ist richtig, dass die EU das Thema Klimaschutz hauptsächlich über den Finanzmarkt zu lösen versucht und deshalb an Transparenzpflichten und Nachhaltigkeitsreporting als regulatorisches Vehikel glaubt. Viele andere Möglichkeiten als Binnenmarktregulierung hat sie aufgrund ihrer Verfasstheit auch nicht. Die Bankenregulierung ist ein Hebel, den sie – insbesondere seit der Finanzkrise – hat und jetzt nutzt. Darin steckt eine ziemliche Tragik, denn wir haben in unserem Forschungsprojekt eine erhebliche Frustration mit Dokumentationspflichten der Unternehmen festgestellt. Unser Fazit ist: Unternehmen haben nichts gegen Klimaschutz, aber gegen Dokumentationspflichten und ein wenig standardisiertes Nachhaltigkeitsreporting. Das Problem war z. B., dass Unternehmen Dokumentationspflichten auferlegt wurden, bevor der ,Voluntary Sustainability Reporting Standard' (VSME), der eine vereinfachte und praxisorientierte Möglichkeit für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bietet, ihre Nachhaltigkeitsleistungen zu berichten, fertig war. Das hat für Unsicherheit bei den KMU gesorgt, die, obwohl sie nicht zum Reporting verpflichtet sind, Anfragen aus der Lieferkette von Kund*innen und Zulieferer*innen und von ihren Banken erhalten haben, die ihrerseits reportingpflichtig sind. Insofern wurde zuerst an den Finanzmarkt gedacht, was der so braucht an Transparenz, und dann erst an die mittelständischen Unternehmen. Das war ein ‚Policy-Designfehler‘ aus unserer Sicht.
Welche besonderen Einsichten kann die Soziologie zur Klimafinanzierung beitragen, die über rein technische oder ökonomische Ansätze hinausgehen?
Mit unserem Projekt haben wir Klimafinanzierung als gesellschaftliche Frage gedacht und nicht im Sinne isolierter Investitionsprojekte. Wir haben danach gefragt, welche institutionellen Logiken den verschiedenen Formen der Klimafinanzierung entsprechen, die im Feld tatsächlich eine Rolle spielen. Dabei kann die Logik eines ‚finanzialisierten‘ datenbasierten Transparenzsystems von der Logik eines auf regionale Förderbankeninfrastruktur setzenden Systems und eines, das auf die Investition der Unternehmen selbst setzt – und z. B. Steuererleichterungen für Unternehmen verargumentiert – unterschieden werden. Die Effizienz von Verboten, Verordnungen und Geboten, die aus dem politischen Diskurs weitgehend herausgehalten wird, ist für uns entscheidend. Insofern ist unser Projekt nicht nur soziologisch, sondern hat auch eine Nähe zur politischen Ökonomie. Die soziologische Perspektive hat den Vorteil, dass wir mit konkreten Akteur*innen sprechen und deren Perspektiven, Konflikte und Problemlagen genau zu verstehen suchen. Wir denken von den praktischen Problemen der Akteur*innen ausgehend und schließen dabei auf gesellschaftliche Institutionen, Spannungen und Konfliktlagen. Wenn andere Forschungsprojekte versuchen, bessere Messmöglichkeiten und optimierte Methoden der CO2-Bemessung oder Reduktion bereitzustellen, oder per Verhaltensexperiment versuchen herauszufinden, wie sich die Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten verändert, fragen wir nach den gesellschaftlichen Bedingungen und Konsequenzen dieser Methoden im Alltag: Wie genau stellen sich die Probleme konkret für Unternehmen dar, wie deuten und lösen sie sie und welche Erfahrungen machen sie? Wer oder was hilft ihnen? Was hält sie ab?
Stichwort klimagerechte Transformation: Sie arbeiten mit regionalen Partner*innen wie „owl Maschinenbau e. V.“ zusammen. Ist die Region Ostwestfalen-Lippe eine Vorreiterin bei diesem Transformationsprozess?
Ja, das würde ich schon sagen. Die Region ist besonders, obwohl sie von Außenstehenden vermutlich eher unterschätzt wird. Es gibt hier sehr viele Initiativen und Netzwerke, die Unternehmen unterstützen. Der Windkraftausbau, die Arbeit der kommunalen Stadtwerke und die Unterstützung durch Institutionen wie der Effizienzagentur NRW sind vorbildlich. Ich war vorher in Hamburg tätig und habe hier in der Region viel Pragmatismus und Lust an der Kooperation erlebt. Die Menschen in Ostwestfalen machen einem das Netzwerken leicht und möchten sich aktiv in den Transformationsprozess einbringen.