Wissenschaftler entwickeln KI, die Tore vorhersagen kann und Leistungen messbar macht

 |  Forschung

Sogenannte Wearables – am Körper getragene Minicomputer, die bestimmte Körperfunktionen messen – haben seit geraumer Zeit Einzug in unseren Alltag gehalten. Im Leistungssport gehören sie schon lange zur Basisausstattung. Die Geräte produzieren unendlich viele Daten und geben Aufschluss über Fitness und Beanspruchungen. Im Profisport bietet der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) zusätzliche Vorteile – bislang halten sich die Nutzung und eine konsequente Auswertung der Daten allerdings in Grenzen. Wissenschaftler der Universität Paderborn haben jetzt zusammen mit dem Profihandball-Team der SG Flensburg-Handewitt im Rahmen eines Forschungsprojekts untersucht, wie der Einsatz von Algorithmen Verletzungsrisiken minimieren und die Leistung der Athleten verbessern kann. Die Forscher haben außerdem eine KI entwickelt, die Tore voraussagen soll.

Daten werden aufgezeichnet, aber kaum ausgewertet

„Künstliche Intelligenz wird in der Regel eingesetzt, um Verletzungsrisiken aufzudecken oder um Schlüsselindikatoren in Bezug auf die Leistung der Profisportlerinnen und -sportler zu entwickeln. Mit dem FC Liverpool und dem FC Barcelona setzen immerhin schon zwei Schwergewichte der internationalen Sportszene auf die Möglichkeiten der Datenanalyse mittels KI. In der Handballbundesliga werden seit zwei Jahren Daten systematisch aufgezeichnet, allerdings ist man von einer entsprechenden Nutzung noch weit entfernt“, sagt Prof. Dr. Jochen Baumeister, Leiter der AG Trainings- und Neurowissenschaften an der Universität Paderborn.

Win-win-Situation für Sport und Wissenschaft

Eine führende Rolle im europäischen Handball nimmt hier die SG Flensburg-Handewitt ein. Athletiktrainer Michael Döring erklärt: „Bewegungsdaten werden immer wichtiger in unserer täglichen Trainingsgestaltung. Wir wollen aber noch einen Schritt weiter gehen und arbeiten deshalb schon jetzt an der Zukunft der Datennutzung im Bereich des Profisports. Zusammen mit den Wissenschaftlern der Universität Paderborn möchten wir die individuellen Leistungen unserer Spieler quantifizierbar machen.“ Die Nutzung von KI bietet ein breites Spektrum an bisher ungeahnten Möglichkeiten. Baumeister spricht von einer Win-win-Situation für den Sport und die Wissenschaft: „Wir arbeiten seit Jahren eng mit der SG Flensburg-Handewitt zusammen und haben über meinen Paderborner Kollegen Prof. Dr. Oliver Müller aus den Wirtschaftswissenschaften nun die passenden Instrumente, um die Datenanalyse zukunftsorientiert und innovativ aufzustellen. Davon profitieren Wissenschaft und Sport gleichermaßen.“ Müller ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik insb. Data Analytics an der Universität Paderborn. Dort erforscht er u. a., wie Menschen durch den Einsatz von Algorithmen bessere Entscheidungen treffen können.

KI sagt Tore voraus

In dem Projekt zeichnen Sensoren alle fünfzig Millisekunden die Standorte der Spieler und des Balls auf. Das eigentlich Spannende aber ist die KI, die die Paderborner Wissenschaftler entwickelt haben. „PIVOT“ – so ihr Name – erkennt eigenständig Bewegungsmuster in den Messungen und kann anhand der Daten vorhersagen, wie wahrscheinlich es ist, dass innerhalb der nächsten Sekunden ein Tor fällt. Dazu Müller: „PIVOT erlaubt es, in Echtzeit die Wahrscheinlichkeit eines Tores oder Gegentores zu berechnen. Vergleicht man diese Wahrscheinlichkeit vor und nach einem bestimmten Spielzug, so kann man messen, wie gut – oder auch schlecht – dieser Spielzug und die damit verbundenen Entscheidungen der Spielerinnen und Spieler waren.“ Baumeister ergänzt: „Die Quantifizierung der Leistung ist eine gute Grundlage, um Zusammenhänge – wie etwa mit dem Nervensystem – zu untersuchen. Sie liefert wertvolle Einblicke in den Zustand und die Handlungen der Spieler.“ Für SG-Trainer Maik Machulla können die Erkenntnisse zukünftig eine gute Unterstützung im Trainings- und Spielalltag sein. „Der innovative Umgang mit den Daten zeigt uns neue Möglichkeiten auf. Dank der langjährigen, intensiven Zusammenarbeit mit der Universität Paderborn können wir so Vorreiter in der HBL und im europäischen Handball sein“, so Machulla.

Bisher hat das Forscher-Team die Aktionen der ballführenden Spieler bewertet. Eine Ausweitung auf Spieler, die nicht im Ballbesitz sind, könnte laut Baumeister weitere Erkenntnisse liefern. Für jedes Szenario könnte zudem die Differenz zwischen der geschätzten bestmöglichen Aktion und der tatsächlich ausgeführten berechnet werden.

Foto (Ingrid Anderson-Jensen, SG Flensburg-Handewitt): Johannes Golla, Spieler der SG Flensburg-Handewitt und Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, beim Torwurf mit Sensoren im unteren Halsbereich unter dem Trikot.

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