Mogelpackung „familienfreundliches Unternehmen“

 |  Forschung

Soziologin der Universität Paderborn untersucht Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Männern

Karriere und Kind: Längst ist die Vereinbarkeit beider Lebensbereiche nicht mehr nur für Mütter ein Thema. Auch Väter sind von den Herausforderungen betroffen, die die Balance zwischen einer guten beruflichen Stellung und einem erfüllten Familienleben mit sich bringt. Welche Faktoren die Chancen einer Verwirklichung beeinflussen, untersucht Dr. Annette von Alemann von der Universität Paderborn. Die Soziologin nimmt insbesondere in den Blick, wie sich Unternehmensangebote und -philosophie auf die Entscheidungen und den Karriereverlauf der sogenannten „aktiven Väter“ auswirken.

„Betriebliche Rahmenbedingungen und organisationskulturelle Merkmale beeinträchtigen die Lebensführung von Vätern massiv“, erklärt von Alemann. „Zwar bezeichnen sich viele Organisationen als familienfreundliche Unternehmen, in Wirklichkeit sind sie es aber gar nicht. Unausgesprochene Erwartungen und verborgene Regeln widersprechen offiziellen Bekundungen und Leitbildern“, so die Wissenschaftlerin weiter. In vielen Organisationen werde vor allem von männlichen Mitarbeitern erwartet, dass sie lange am Arbeitsplatz präsent und auch über ihre Arbeitszeit hinaus für das Unternehmen verfügbar sind – besonders dann, wenn sie Führungspositionen anstreben oder bekleiden. Stillschweigend werde davon ausgegangen, dass Männer ihre Arbeitsleistung durchgehend zur Verfügung stellen, ohne z. B. die sogenannten „Vätermonate“ in Anspruch zu nehmen. Insbesondere die Leistung von Führungskräften werde im direkten Zusammenhang mit der am Arbeitsplatz verbrachten Zeit gesehen. Väter, die ihre Arbeitszeit reduzieren, gelten als weniger engagiert und karriereorientiert. „Männer haben Angst, ihre Position im Unternehmen zu verlieren, nicht weiter auf der Karriereleiter nach oben zu steigen oder langfristig sogar das Unternehmen verlassen zu müssen“, so von Alemann. Gerade in Unternehmen, bei denen die Norm „Grow or go“ (Aufstieg oder berufliches Aus) herrsche oder bei denen konstante Umstrukturierungen an der Tagesordnung stünden, sei die Angst der Väter vor beruflichen Nachteilen durch Arbeitsreduzierung oder allein die Sichtbarkeit ihrer Familienverantwortung besonders groß. Grundsätzlich seien Väter an dieser Stelle verwundbarer als Mütter, da sich viele auch heute noch als Ernährer ihrer Familie verstünden.

Wertvorstellungen konkurrieren mit unternehmerischer Praxis

„Unternehmen haben seit einiger Zeit erkannt, dass Maßnahmen zur Erhöhung der Work-Life Balance auch zur eigenen Verantwortung gegenüber den Beschäftigten gehören, da sie Fehlzeiten reduzieren, die Arbeitsproduktivität erhöhen und zur Mitarbeiterbindung beitragen. Angesichts des in vielen Branchen vorherrschenden Fachkräftemangels investieren Unternehmen in ihre Angestellten, um qualifizierte Mitarbeiter zu halten. Dazu gehören auch die Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aber: Das ist alles Teil des Employer Brandings.“ Familienfreundlichkeit und soziale Verantwortung würden zu Themen der Außendarstellung. Diskussionen in Politik und allgemeiner Öffentlichkeit hätten in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass Organisationen zunehmend mehr Wert auf Familienfreundlichkeit legten. „Sie müssen auf die Erwartungen der Öffentlichkeit reagieren, um sowohl für qualifizierte Bewerber als auch für Abnehmer ihrer Produkte und Dienstleistungen attraktiv zu bleiben“, lautet von Alemanns Einschätzung.

In der Praxis würden diese Wertvorstellungen allerdings mit der unternehmerischen Realität konkurrieren: „Nach außen kommunizierte Leitbilder, Unternehmenspolitik und die tatsächlich gelebte Praxis der Vereinbarkeit weichen häufig voneinander ab“. Dies gelte vor allem für Unternehmen, die sich an ständig wechselnde Marktbedingungen anpassen müssten, wie es z. B. im Konsumgüterhandel der Fall sei. Dazu komme noch der Umstand, dass in vielen Unternehmen Arbeitskollegen die Aufgaben der sich in Eltern- oder Teilzeit Befindlichen übernehmen müssen – on top, versteht sich. „Natürlich trägt das nicht zur positiven Wahrnehmung bei“, räumt von Alemann ein. Grundsätzlich gelte: Elternzeit, kürzere Arbeitszeiten oder das Ausreizen der Gleitzeit zugunsten der Familie werden allgemein kritisch bewertet und als negativ empfunden. 

Es stellt sich also die Frage, wie entsprechende Angebote genutzt werden können, ohne dass dies mit negativen Konsequenzen für die Betroffenen einhergeht. Väter sollten die Möglichkeit haben, ihren familiären Aufgaben und Verpflichtungen – die Wissenschaft spricht hier von „Care-Verantwortung“ – nachzukommen, ohne dass sich daraus Nachteile für ihre Karrieren ergeben. Alemann schlägt vor: „Eine explizit ausgesprochene Erlaubnis, Vereinbarkeitsangebote wahrzunehmen, kann viel bewirken. Ausgesprochen vom Vorgesetzten, nicht nur durch ein Zertifikat für Familienfreundlichkeit“. So würden Hürden abgebaut und verborgene Regeln ihrer Einflussnahme entzogen. Maßnahmen wie eine Betriebs-Kita, Telearbeit oder Wiedereinstiegsprogramme für Eltern seien zwar gut, reichten alleine aber nicht aus. „Väter und Mütter müssen die gleichen Chancen haben, ihr Familienleben zu gestalten und beruflich erfolgreich zu sein. Berufliche Führungspositionen werden aber leider nach wie vor mit Vollzeit und einer männlichen Besetzung assoziiert. Letztendlich führt das zu einer Traditionalisierung der Geschlechterverhältnisse, was alles andere als zeitgemäß ist“, kritisiert von Alemann.

Nina Reckendorf, Stabsstelle Presse und Kommunikation

Foto (Universität Paderborn, Nina Reckendorf): Für viele Väter ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Problem.

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