Lea Singer übernimmt die 28. Gastdozentur für Schriftstellerinnen und Schriftsteller an der Universität Paderborn (Wintersemester 2009/2010)

Die in München lebende Autorin Lea Singer wird am 7.12.2009 die 28. Paderborner Gastdozentur für Schriftstellerinnen und Schriftsteller am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn übernehmen. Die seit 1983 durchgeführte Veranstaltung richtet sich sowohl an Studierende als auch an alle literarisch Interessierten in Paderborn und Umgebung. Werner Fritsch und Albert Ostermaier waren zuletzt als Gastdozenten in Paderborn. Die Gastdozentur findet immer montags von 16.15-17.45 Uhr im Hörsaal G der Universität, Warburger Str. 100, statt.

Lea Singer wird ihre Dozentur unter den Rahmentitel „Präzision & Sinnlichkeit. Überlegungen zur Gegenwärtigkeit des Flüchtigen“ stellen und am Montag, 7.12., einen Auftaktvortrag halten: „Wo stecken denn Sie? Oder: Die sinnliche Anwesenheit des Erzählers in seinen Gestalten“. Hinzu kommen vier weitere Vorträge mit Lesungselementen, die die Autorin unter die folgenden Einzeltitel gestellt hat: „Warum wird bei Ihnen denn so oft gegessen? Oder: Die Aussagekraft von Konsum und Konsumieren“ (14.12.2009), „Was hören Sie, wenn Sie schreiben? Oder: Die Erscheinungsformen von Klang, Rhythmus und Musik in der Sprache“ (11.01.2010), „Warum reden Sie nie vom F***? Oder: Die vernachlässigte Dimension des Taktilen in Literatur und Leben“ (18.1.2010) und zum Abschluss der Gastdozentur: „Was soll an Faust modern sein? Oder: Die sinnliche Quelle der Mythen und allen Erzählens“ (25.1.2010).

Lea Singer (Eva Gesine Baur) ist eine der vielseitigsten Erzählerinnen, Sachbuchautorinnen und Publizistinnen der Gegenwart. Leitend im Zentrum aller ihrer Werke steht die Berührung der Sinne und das Berührtwerden durch die Sinne – Sinnenwahrnehmung im eigentlichen Verständnis. Von hier aus nimmt das Erzählen seinen Ausgangspunkt – und von hier aus zieht sich eine durchgehende Linie durch das belletristische Werk der Autorin: von dem historischen Roman „Die Zunge“ (Stuttgart 2000), Lea Singers erstem großen Erfolg, bis hin zu ihrem bislang letzten Roman „Konzert für die linke Hand“ (Hamburg 2008).

Steht im ersten Fall der französische Schriftsteller und Begründer der Gastronomiekritik Alexandre Grimod de La Reynière im Mittelpunkt, der 1758 mit verkrüppelten Armen zur Welt kommt, aber im Laufe seines Lebens lernt, nicht nur seinen überragenden Intellekt scharfzüngig als Waffe einzusetzen, so erzählt Lea Singer im anderen Fall in der Form eines breit angelegten Epochen- und zugleich Familienromans die Geschichte Paul Wittgensteins, einer der vergessenen Schlüsselfiguren der Musik des 20. Jahrhunderts. Der heute im Schatten seines berühmten Bruders, des Philosophen Ludwig Wittgenstein, stehende Paul verliert im Ersten Weltkrieg seinen Arm, macht ungeachtet der väterlichen Maxime, Kunst als Profession sei Prostitution, als Konzertpianist eine Weltkarriere. Ein Großteil der Konzertliteratur für die linke Hand wurde von ihm in Auftrag gegeben. Unter anderem haben Strauss, Ravel und Prokofjew für ihn komponiert.

Immer wieder gilt die Aufmerksamkeit der Erzählerin Lea Singer den Künstlern, die unsere Sinne berühren, im eigenen Leben selbst aber nur selten oder auf Zeit Glück erfahren – sei es der Maler Richard Gerstl, der im Wien der Jahrhundertwende tragisch an seiner Liebe zu Mathilde Schönberg, der Frau des Komponisten Arnold Schönberg, zugrunde geht („Wahnsinns Liebe“; München 2003), sei es Constanze Mozart, deren Liebe zu dem ‚Genie’ Mozart nur wenige Jahre gewährt waren („Das nackte Leben“; München 2005). Der historische Roman ist das bevorzugte Medium dieser literarischen Erkundungen. Dass Lea Singer in ihren Werken aber auch ganz gegenwärtig (im Wortsinn) sein kann, zeigt der Roman „Mandelkern“ (Hamburg 2007), eine in die Gegenwart versetzte, zugleich die Geschlechterordnung ‚verkehrende’ „Faust“-Paraphrase, in der die aktuelle Hirnforschung und die von ihr neu entfachte Frage nach dem freien Willen zum Ausgangs- und Fluchtpunkt des Erzählens wird.

Lea Singer studierte Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Germanistik und Gesang. Sie promovierte in München mit einer Studie zum französischen und englischen Kinderbild im 18. und 19. Jahrhundert. Unter dem Namen Eva Gesine Baur hat sie zahlreiche kulturwissenschaftliche Arbeiten und Sachbücher veröffentlicht, darunter den opulent ausgestatteten Band „Meisterwerke der erotischen Kunst“ (Köln 1995, umgestaltete Neuausgabe: Köln 2002), eine Erkundung der Festspielstadt Salzburg („Schauplatz Salzburg“, München 2003, zusammen mit dem Photographen Thomas Klinger), eine umfangreiche Biographie über Schillers Ehefrau Charlotte („’Mein Geschöpf musst du sein’. Das Leben der Charlotte Schiller“, Hamburg 2004), ein Buch über die „Die venezianische Küche im Rhythmus der vier Jahreszeiten. Genießen mit Vivaldi“ (München 2007) und unlängst eine weitere große Biographie: „Chopin oder Die Sehnsucht“ (München 2009). Lea Singer lebt heute in München.