Zum „Tag der gesunden Ernährung“ am 7. März: Interview mit Prof. Dr. Anette Buyken

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Interview mit Prof. Dr. Anette Buyken von der Universität Paderborn zum „Tag der gesunden Ernährung“

Am 7. März veranstaltet der Verband für Ernährung und Diätetik erneut den bundesweiten „Tag der gesunden Ernährung“. Im Interview spricht Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Anette Buyken über die Chancen, Herausforderungen und Voraussetzungen einer gesundheitsfördernden Ernährung. Am Institut für Ernährung, Konsum und Gesundheit der Universität Paderborn leitet Buyken die Arbeitsgruppe „Public Health Nutrition“. Zudem ist sie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sowie Teil des wissenschaftlichen Gremiums zur Entwicklung des Nutri-Scores.

Frau Buyken, mit welchen Ernährungsmustern lässt sich das Risiko für ernährungsmitbedingte Krankheiten wie Adipositas, Typ 2 Diabetes und Herzkrankheiten senken?

Buyken: Die Forschung der vergangenen Jahre hat sehr eindrucksvoll belegt, dass eine traditionelle mediterrane Kost das Risiko für diese Erkrankungen senkt. Interessanter Weise gilt dies auch für die sogenannte „nordische Kost“, also ein Ernährungsmuster reich an heimischem Gemüse (Kohl- und Wurzelgemüse), Pilzen, Beerenfrüchten, Produkten aus Vollkorngetreide wie Hafer, Gerste und Roggen, Hülsenfrüchten und Nüssen. Der Vorteil dieses Ernährungsmusters ist, dass es auch dem Wunsch vieler Verbraucher*innen Rechnung trägt, sich klimaschonend zu ernähren.

Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, damit Menschen sich so ernähren?

Buyken: Bisher haben wir vielfach vornehmlich auf die Bildung des Individuums gesetzt. Aber wir überschätzen die Fähigkeit des Einzelnen bzw. von Familien, eine gesunde Ernährung im Alltag zu praktizieren, erheblich. Tatsächlich stellt auch die gerade von der Bundesregierung veröffentlichte Ernährungsstrategie fest, dass unsere Ernährungsumgebungen häufig so gestaltet sind, dass es nur mit großem Aufwand möglich ist, sich gesund und nachhaltig zu ernähren.

Was muss und kann die Politik leisten, damit es für jeden Einzelnen leichter wird, sich gut und gesund zu ernähren?

Buyken: Politik kann unser Ernährungsumfeld fairer gestalten. Auch der vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat aus 160 Bürgerinnen und Bürgern aus allen Gesellschaftsschichten hat hierzu gerade sehr detaillierte Empfehlungen für Maßnahmen abgegeben, die der Bund ergreifen könnte: Neben der Umsetzung eines beitragsfreien Mittagessens für alle Kinder in KiTa und Schule empfehlen sie auch Nährwert-, Umwelt- und Tierwohllabel sowie eine Steuerbefreiung für gesunde und nachhaltige Lebensmittel.

Als Teil des wissenschaftlichen Gremiums waren Sie an der Optimierung des Nutri-Score-Algorithmus beteiligt. Was gehört aus Ihrer Sicht zu den wichtigsten Änderungen, die mit Beginn des Jahres in Kraft getreten sind?

Buyken: Der Nutri-Score ist nun noch enger an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Ernährungsempfehlungen in den Ländern, die den Nutri-Score nutzen, orientiert. Er erlaubt nun noch besser, vollkornreiche Produkte von Weißmehlprodukten zu unterscheiden und Produkte mit günstigen pflanzlichen Ölen (reich an ungesättigten Fetten) bzw. fettreicher Fisch erzielen künftig bessere Bewertungen. Zuckerärmere Varianten schneiden ebenfalls besser ab. Hingegen wird die Verwendung von Süßstoffen ungünstiger gewertet, um keinen Anreiz zur Verwendung von Süßungsmitteln zu schaffen.

Wo gibt es beim Nutri-Score noch Optimierungsbedarf?

Buyken: Der Nutri-Score orientiert sich an den sogenannten „Big Seven“, das heißt an den Nährstoffen, deren Kennzeichnung gesetzlich vorgeschrieben ist: Energie, Fett, gesättigte Fettsäuren, Kohlenhydrate, Zucker, Eiweiß und Salz. Bei ballaststoffreicheren Getreideprodukten können noch Ballaststoffe angegeben werden. Für eine bessere Differenzierung von Vollkornprodukten wäre eine verpflichtende Angabe zum Vollkornanteil hilfreich. Auch könnten wir Lebensmittel, denen Zucker zugesetzt wurde, besser von Lebensmitteln, die von Natur aus einen hohen Zuckergehalt haben (wie Milchprodukte oder Produkte mit Obst), abgrenzen, wenn die Hersteller nicht nur den Gesamtzucker, sondern auch den zugesetzten Zucker ausweisen müssten.

Die globale Ernährung wird aktuell mehr denn je durch Klimaschäden wie Dürren, Überschwemmungen und damit einhergehenden Ernteausfällen beeinflusst. Kann gesunde Ernährung umgekehrt auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten?

Buyken: Tatsächlich ist der Beitrag der Ernährung zum Ausstoß von Treibhausgasen entlang der Wertschöpfungskette vom Hof bis zum Tisch auch in Deutschland erheblich. Den wichtigsten Beitrag zur Reduktion des diesbezüglichen Fußabdrucks kann der sehr maßvolle Konsum von rotem Fleisch leisten. Dazu wäre es sinnvoll, unseren derzeitigen Verbrauch auf ca. 300 Gramm pro Woche zu reduzieren und davon maximal ein Drittel als rotes Fleisch von Rind, Schwein und Lamm zu verzehren. Auch die Reduktion von Lebensmittelabfall und Verpackungsmüll stellen wichtige Stellschrauben dar, während der bevorzugte Verzehr von regional produzierten Lebensmitteln vor allem die regionale Wirtschaft stärkt.

Seit dem Wintersemester 2017/18 gibt es an der Universität Paderborn den Masterstudiengang „Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen mit dem Unterrichtsfach Ernährungslehre“, der zukünftige Lehrkräfte dazu ausbildet, Schüler*innen für die Chancen einer gesundheitsförderlichen Ernährung zu sensibilisieren. Welche Rolle nehmen Lehrkräfte ein, um Kinder und Jugendliche für gesunde Ernährung zu begeistern?

Buyken: Das Unterrichtsfach kann Handlungskompetenzen fördern, indem Schülerinnen und Schüler ihre Lebensführung nicht nur auf der Ebene des Individuums im privaten Haushalt reflektieren, sondern auch die Ernährungsumgebungen sowie die Integration des Haushaltes in die Gesellschaft berücksichtigen. Auf individueller Ebene kann dieses Fach Schülerinnen und Schüler darin bestärken, die Chancen einer gesundheitsförderlicheren Ernährung für die seelische Gesundheit stärker als bislang in den Blick zu nehmen. Die Wissenschaft zeigt, dass eine gesundheitsförderliche Ernährung auch die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern und einer Depression vorbeugen kann. Die Umsetzung einer gesundheitsförderlichen Ernährung stellt uns also zwar im Alltag vor Herausforderungen, kann uns aber auch bei der Alltagsbewältigung unterstützen.

Weiterführende Informationen:

Ernährungsstrategie des BMEL

Empfehlungen des Bürgerrats „Ernährung im Wandel“

Studienfach „Ernährungslehre“ für Gymnasien und Gesamtschulen (GyGe)

 

Foto (Universität Paderborn, Besim Mazhiqi): Prof. Dr. Anette Buyken vom Institut für Ernährung, Konsum und Gesundheit an der Universität Paderborn.

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