FOR 1405: Dynamik von Elektronentransferprozessen an Übergangsmetallzentren in biologischen und bioanorganischen Systemen

Überblick

Struktur und Reaktivität von Metallo-Biomolekülen werden in entscheidender Weise von ihrer Ladungsverteilung kontrolliert. Der Transfer von Ladungsdichte muss daher zu Strukturveränderungen sowohl auf molekularer als auch auf atomarer Ebene führen und das Reaktionsverhalten in charakteristischer Weise steuern.

Die katalytische Aktivität von Kupferenzymen wird ganz maßgeblich von diesem Zusammenspiel geprägt. Sie sind nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht von herausragendem Interesse für die Chemie, sondern spielen darüber hinaus auch eine überragende Rolle als Vorbilder für industrielle Katalysatoren in der Technik. Im Rahmen dieser Forschergruppe wollen wir den optisch induzierten Ladungstransfer in solchen Systemen und ihren Modellen nutzen, um den zeitlichen Verlauf der so ausgelösten Prozesse zu studieren.

Unser Forschungsansatz fokussiert sich auf die zeitaufgelöste Untersuchung biochemischer Moleküle im elektronisch angeregten Zustand mittels neuartiger Pump-Probe-Experimente unter expliziter Ausnutzung modernster, gepulster Photonenquellen. Damit eröffnen wir einzigartige Perspektiven, die zu einem umfassenderen Verständnis biologischer Reaktionsabläufe auf atomarer Ebene führen und darüber hinausgehend Wege für eine Nutzung dieser Erkenntnisse in der Medizin, der Biologie und der Chemie aufzeigen können.

Bei unseren Experimenten werden sowohl Photonenquellen an Großforschungseinrichtungen (FLASH, PETRA III, ESRF, SLS, DORIS III) als auch optische Laser genutzt und mittelfristig durch Laserquellen im Bereich der harten Röntgenstrahlung (X-FEL) ergänzt. Ihr synchronisierter und simultaner Einsatz gestattet es, einen Ladungstransfer auszulösen und seine Auswirkungen auf das biochemische System zu bestimmen.

Dieses Vorgehen erlaubt es, biochemische Abläufe auf der Femtosekundenskala zu studieren und zu verstehen: Hierbei werden durch die chemische Selektivität weicher Röntgenstrahlung orbitale Zustände des Kupfers und seiner wichtigsten Donoratome sowie ihre Populationen bestimmt, um den Ablauf oben genannter Prozesse auf molekularer und orbitaler Ebene unter anderem auch zeitaufgelöst in Pump-Probe-Experimenten zu visualisieren.

Die Forschergruppe bildet auch eine Plattform, auf der neuartige Strahlungsquellen aus der Physik mit ihren innovativen spektroskopischen Anwendungen und moderne quantentheoretische Methoden kombiniert werden, um grundlegende aktuelle Problemstellungen der Metallo-Biochemie zu lösen. Mit diesen Ergebnissen wollen wir die notwendigen Grundlagen zur gezielten Verbesserung von Oxidationskatalysatoren schaffen, zu einem vertieften Verständnis biologischer Elektronentransferreaktionen kommen und lernen, wie kupferabhängige pathologische Umfaltungsprozesse in Proteinen beeinflusst werden können.

DFG-Verfahren Forschungsgruppen

Beteiligte Fachrichtungen Biologie, Experimentelle Physik, Theoretische Physik, Bioanorganische Chemie, Koordinationschemie, Biophysik

Sprecherinnen / Sprecher Professor Dr. Gerald Henkel; Professorin Dr. Sonja Herres-Pawlis

Key Facts

Art des Projektes:
Forschung
Laufzeit:
01/2011 - 12/2017
Gefördert durch:
DFG
Unterprojekte:
FOR 1405 - Theoretische Modellierung bioanorganischer Kupfer-Komplexe
Website:
DFG-Datenbank gepris

Detailinformationen

Projektleitung

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Prof. Dr. Uwe Gerstmann

Theoretische Materialphysik

Zur Person
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Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt

Fakultät für Naturwissenschaften

Zur Person

Ergebnisse

Die interdisziplinäre dislozierte FOR1405 hat sich in den insgesamt 6 Jahren mit Modellkomplexen für die Tyrosinase, das CuA-Zentrum der Cytochrom-c-Oxidase und für Typ-Null-Systeme mithilfe modernster Methoden der zeitaufgelösten Raman- und Röntgenabsorptions-Spektroskopie sowie der Dichtefunktionaltheorie und der Vielteilchenstörungstheorie befasst. Allen drei Metalloprotein-Systemen ist gemeinsam, dass Elektronen bzw. Ladungsdichten verschoben werden, um z.B. Sauerstoff zu aktivieren (in der Tyrosinase) oder Elektronen zu transportieren (im CuA-Zentrum vom Cytochrom-c zum Häm a3 und auch in Typ-Null-Systemen). Durch die transienten Methoden konnten einzigartige Einblicke in die funktionalen Abläufe der Elektronen- und Charge-Transfer-Prozesse in den drei Modell-Systemen gewonnen werden. In der Kombination von neuen Synthesewegen wurden die schnellsten katalytisch aktiven Tyrosinase-Modell-Systeme auf Basis von Bis(pyrazolyl)methanliganden und auch die schnellsten Typ-Null-Modellsysteme (schwefeldonorfreie Elektronentransfer-Modelle) in Form von Bis(chelat)- Guanidinchinolin-Kupferkomplexen erhalten. Aus diesen sehr unterschiedlichen Tyrosinase-Modellen (mit Bis(pyrazolyl)methanen und Guanidinen) extrahierten wir detaillierte Bauprinzipien für höchst erfolgreiche Hydroxylierungskatalysatoren. Bei den Typ-Null-Systemen wurde ferner der intrinsische Zusammenhang zwischen Elektronen- und Charge-Transfer aufgeklärt und außerdem die Balance zwischen elektrischen und sterischen Ligandeneinflüssen detailliert untersucht. Gleichzeitig wurden bei den polynuklearen S,N-Donor-Kupferkomplexen mit Thioguanidin-, Thiolat-, Thioharnstoff- und Disulfidguanidin-Liganden neue grundlegende Einsichten in die Valenzdelokalisation dieser Komplexe über die Cu-S-Bindungen erhalten. Methodisch haben wir in der FOR1405 durch die Installation eines gated integrators an der Beamline P11 an PETRA III und auch eine optimierte Jet-Technik deutliche verbesserte Meßbedingungen für Pump-Probe-XAS-Messungen erreicht. Mit einer noch innovativeren Jet-Technik konnte auch ein transienter Ramanaufbau realisiert werden. Gleichzeitig wurde die Probenkühlung für temperatursensitive Komplexe neu konzipiert, so dass auch empfindliche Proben nun mittels resonanter Ramanstreuung in operando untersucht werden können. Aus Simulationen mittels Dichtefunktionaltheorie und bei kleineren Modellen auch mittels Vielteilchenstörungstheorie zeigte sich, dass die Kovalenz in allen drei Modell-Systemen essentiell für die Elektronen- und Charge-Transfer-Prozesse ist. Die theoretischen Untersuchungen lieferten optimierte Geometrien, Orbitalanalysen, optische Spektren, Raman-Spektren und auch XANES- Spektren. Hierbei wurde auch für ausgewählte Systeme die strukturelle und elektronische Dynamik im angeregten Zustand studiert. In Falle der Typ-Null-Modellsysteme konnten wir demonstrieren, dass das Prinzip des entatischen Zustands auch für die Kupfer-Photochemie gilt. Der aus UV-Anregung entstandene MLCT-Triplett-Zustand wurde hierzu mit vier transienten Methoden charakterisiert. Parallel wurde die hochauflösende XANES-Spektroskopie (HERFD-XANES) in Kombination mit DFT- und projected augmented wave (PAW)-Methoden zur Untersuchung des entatischen Zustands am Beispiel der Typ-Null-Modell-Kationen etabliert und führte zu einem detaillierten Verständnis der Feinstruktur in den HERFD-Spektren. Insgesamt hat die enge Verzahnung zwischen synthetisch-präparativen und theoretischen Arbeiten in Kombination mit den spektroskopischen Untersuchungen ein fundamentales Verständnis der biomimetischen Kupfer-Charge-Transfer-Komplexe erbracht.