Mensch–Maschine

Diskurse und Konzepte in Wirtschafts- und Kulturwissenschaften

Ringvorlesung vom 12. April bis 12. Juli | jeden Mittwoch | 16.00 c.t.–18.00 Uhr  |  Hörsaal O1

Neue Technologien verursachen Umbrüche, die das Bild und die Rolle des Menschen in Wirtschaft und Gesellschaft infrage stellen. Konfrontiert mit der fortschreitenden Industrialisierung, wurde das „Humane“ in den vergangenen 100 Jahren immer wieder diskutiert. Angesichts neuer Techniken wie Künstlicher Intelligenz, Human Enhancement, Robotik und Vernetzung wird die Debatte heute besonders intensiv geführt. Wie werden wir Menschen, insbesondere in unserem Verhältnis zu neuen Technologien, in Arbeitswelt und Gesellschaft gesehen?

Vielfältige Antworten auf diese Frage soll die interdisziplinäre Ringvorlesung zur Diskussion stellen. Die einzelnen Vorträge werden aus unterschiedlichen Fachperspektiven auch die Imaginationsgeschichte des Verhältnisses Mensch-Maschine vergleichend untersuchen. Erst durch eine vergleichende Zusammenschau von Texthybriden, die kulturelles und ökonomisches Wissen im interdisziplinären Grenzbereich von Theorie, Wissenschaftlichkeit und Popularisierung generieren, können valide Aussagen über historische Transformationsprozesse getroffen werden, die wir im Zeitalter der Digitalisierung gegenwärtig erleben.

Die Ringvorlesung richtet sich an Interessierte innerhalb und außerhalb der Universität. Als Lehrveranstaltung steht sie Studierenden in Bachelorstudiengängen und Masterstudiengängen der Kultur- und der Wirtschaftswissenschaften offen. Auch Lehramtsstudierende sind herzlich zur Teilnahme eingeladen.

Liveübertragung

Alle Veranstaltungen werden auch live übertragen. Wenn Sie den Livestream mitverfolgen möchten, melden Sie sich bitte vorab bei martin.schneider@upb.de an, sodass wir Ihnen den Zugangslink zuschicken können. Ihre Angaben sind anonym und werden ausschließlich zwecks Planung verwendet. Danke für Ihre Kooperation.

Die Vor­le­sun­gen im Überblick

Claudia Öhlschläger, Paderborn | Kulturwissenschaften: Der Vortrag rekonstruiert die ambivalenten Haltungen, die Literat*innen, Künstler*innen und Intellektuelle gegenüber dem Technisierungsprozess der Moderne insbesondere seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert einnehmen (Naturalismus und Expressionismus). Einerseits werden Maschinen als Bedrohung für den Menschen bzw. des Humanen gezeichnet, andererseits aus technikaffinen Rhythmen, Bewegungen, Praktiken der Montage und maschinellem Tempo Bilder vom ‚neuen’ Menschen entworfen und Konzepte einer vermeintlich avantgardistischen Poetik der Maschine generiert. Die (gender)politischen Voraussetzungen und Implikationen von Technikkritik und Technikeuphorie sollen an prägnanten Fallbeispielen erläutert werden.

Sabine Bacouël-Jentjens, Paris | Wirtschaftswissenschaften: Die Integration von Künstler*innen in die Wissenschaft ist nicht neu, verdankt die Medizin doch ihre anatomischen Einblicke den zahlreichen Abbildungen von Künstler*innen. Man bedenke auch da Vincis zahlreiche technische Skizzen. Vom Mensch geschaffene Kunst wurde bisher gemeinhin nicht nur als Vehikel der Ästhetik, sondern auch als Stimulator oder Initiator von Innovationen angesehen. Und obwohl mittlerweile die KI sich des Bereiches der künstlerischen Kreativität bemächtigt, lassen sich in der Managementliteratur zunehmend Aufrufe nach mehr künstlerischen Mitarbeitendenaktivitäten in Unternehmen lesen. Die Vorlesung möchte diskutieren, inwiefern die Kunst Mensch und Maschine miteinander verbindet, und zwar anhand von Beispielen aus der Vergangenheit und Diskussionen zur (Un-)Fähigkeit von KI, den Menschen als Kunstschaffenden zu ersetzen.

 

Robert Leucht, Lausanne | Kulturwissenschaften: In den Vorstellungswelten des 20. Jahrhunderts tritt der Ingenieur oft als Erzeuger technischer Artefakte, manchmal als Mischwesen (halb Menschen, halb Maschine), zumeist aber als Heilsbringer in Erscheinung, der soziale Probleme durch technisches Knowhow löst. An kaum einer anderen Figur lassen sich derart viele Facetten des Verhältnisses Mensch-Maschine ablesen. Der Vortrag möchte einige von diesen Facetten besonders an literarischen Texten des 20. Jahrhunderts nachzeichnen.

 

Matthias Löwe, Jena/Leipzig | Kulturwissenschaften: Dystopien entwerfen keine Bilder besserer Zukünfte, sondern wollen mit Schreckensszenarien vor Fehlentwicklungen warnen. Einen Boom erlebt dieses Muster im „Maschinenzeitalter“ des frühen 20. Jahrhunderts vor dem Hintergrund wachsender Kritik an Totalitarismus und Technizismus. Der Vortrag beschäftigt sich mit literarischen und filmischen Dystopien, in denen das Mensch-Maschine-Verhältnis meist kulturkritisch imaginiert wird, als Verdrängung des „Humanen“ durch die Technik.

Kevin Liggieri, Darmstadt | Kulturwissenschaften: Die Geschichte und Systematik des „Maschinellen Lernens“ als einem fundamentalen Konzept westlicher Wissensvermittlung verweist auf eine bestimmte Argumentation und Praxis, wie wir mit Tieren, Maschinen, aber auch anderen Menschen umgehen. Der maschinelle, instrumentelle und funktionelle Lernbegriff, der auf Dressur, Training und Domestikation setzt, soll daher genauer analysiert und problematisiert werden. Dafür sollen aus wissenschaftshistorischer Perspektive unterschiedliche Experimente angesehen werden.

Kirsten Thommes, Paderborn | Wirtschaftswissenschaften: Banks (2020) definiert mentale Modelle als „Vorstellungen darüber, wie die Welt ist, (…) um Ereignisse oder Dinge in der Welt zu beschreiben, zu erklären und vorherzusagen.“ Häufig werden einzelne mentale Modelle zwischen Domänen transportiert. Für die mentalen Modelle von Maschinen sind besonders Darstellungen in fiktiven Texten und Filmen von Bedeutung, sie prägen die Diskussion über Maschinen in Unternehmen.

Alexander Dunst, Paderborn | Kulturwissenschaften: Als Schreckgespenst der Industriegesellschaft trieb die Automatisierung der Arbeit bereits Karl Marx um und kehrt im 21. Jahrhundert in den Debatten um so genannte „Künstliche Intelligenz“ wieder. Dieser Vortrag diskutiert prominente Beiträge zu diesem Diskurs in der politischen Ökonomie, von Erik Brynjolfsson und Andrew McAfees The Second Machine Age (2015) zu Aaron Bastanis Fully Automated Luxury Communism (2019), und wendet sich dann der zeitgenössischen Science Fiction und spekulativen Literatur zu: Inwieweit verstehen diese Narrative die Automatisierung der Arbeit als Dystopie oder Utopie? Wie dramatisieren sie das Verhältnis von Mensch und Maschine?

Isolde Schiffermüller, Verona | Kulturwissenschaften: Günther Anders, einer der luzidesten Kritiker des 20. Jahrhunderts, hat zur Anthropologie im Zeitalter der Technokratie entscheidende Denkanstӧβe gegeben, die im Besonderen auch das Verhӓltnis von Mensch und Maschine und die „Metamorphosen der Seele“ im „Human Engineering“ betreffen. Die Vorlesung fragt nach der Aktualitӓt seiner provokatorischen Thesen zur „Antiquiertheit des Menschen“, zur „prometheischen Scham“ und zur „Apokalypse-Blindheit“ im Atomzeitalter.

Andreas Zeuch, Berlin | Wirtschaftswissenschaften: Digitale Transformation und Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) sind in vollem Gange. Was bedeutet das für unser Menschenbild? Denn wir alle haben zumindest implizit ein Bild davon, was uns als Menschen im Gegensatz zu KI auszeichnet. Und das beeinflusst unsere Entscheidungen und unser Leben. Somit können wir die Digitalisierung und KI als Spiegel nutzen, um unser Menschenbild für die neuen Herausforderungen zu schärfen.

Julia Brandl, Innsbruck | Wirtschaftswissenschaften: Wie lässt sich Technologie zur Kompetenzentwicklung am Arbeitsplatz nutzbar machen? Der Vortrag stützt sich auf den Capability-Ansatz von Amartya Sen, um die kritische Rolle von Rahmenbedingungen und die persönliche Ausgangssituation von Anwender*innen zu beleuchten. Am Beispiel der Einführung eines Decoders für Stelleninserate für Personalfachleute wird gezeigt, welche Kompetenzen Anwender*innen bei der Erprobung dieser Technologie entwickeln und wofür sie diese Kompetenzen einsetzen.

Lars Schmeink, Hamburg | Kulturwissenschaften: Der Transhumanismus sieht den Menschen als durch seine Biologie limitiert und propagiert ein Verschmelzen mit Technologie, um Unsterblichkeit zu erlangen. Der Posthumanismus wiederum eröffnet uns die Möglichkeit, gleich ganz neue Wesen „nach dem Menschen“ zu denken. Die Vorstellungen so mancher Philosoph*innen pendeln dabei zwischen Techno-Utopie auf Erden und digitalem Paradies in der Cloud, zwischen vernetzter KI, Cyborg-Körpern und Upload-Welten. Doch die Science Fiction ist in dieser Hinsicht weniger utopisch eingestellt und warnt in ihren Werken vor zu viel post- und transhumanistischer Hoffnung. Cyborg-Prothetik und Upload-Paradiese könnte dem kapitalistischen Markt unterworfen sein und zum Albtraum für ihre Nutzenden werden, Künstliche Intelligenzen und Roboter könnten zur Erkenntnis kommen, dass der Mensch das Problem ist. Die düsteren Zukunftsszenarien sind vielseitig, zeigen aber eindringlich auf, welche Sorgen wir bei der Entwicklung neuer Technologien haben. Und das wir das Mensch-Maschine-Verhältnis besser verstehen lernen müssen, um die Zukunft sicher zu meistern.   

Katharina Rohlfing | Kulturwissenschaften: Das große Potenzial der sozialen Roboter im Bereich der Bildung besteht darin, dass sie Lernende in verschiedene Aktivitäten einbinden können. Die Gestaltung von Aktivitäten verändert jedoch nicht nur den Lerninhalt, sondern auch die soziale Beziehung zwischen Mensch und Roboter. In diesem Vortrag wird ein Vorgehen präsentiert, das es ermöglicht, diese Beziehungen zu vergleichen und im Hinblick auf das Engagement der Lernenden zu bewerten.

Martin Schneider, Paderborn | Wirtschaftswissenschaften: Die Ökonomie modelliert Mensch und Maschine analog als „Produktionsfaktoren“, die sich gegenseitig ersetzen, aber auch ergänzen können. Dieser Zugang steht paradigmatisch für ein verdinglichendes Bild vom Menschen und erklärt verbreitete Ängste um Arbeitsplatz- und Sinnverlust: Menschen werden auf ihren ökonomischen Wert reduziert, Maschinen werden im Gegenzug vermenschlicht. Wie äußert sich diese Verdinglichung in verschiedenen Diskursen der Arbeitsbeziehungen, an denen Arbeitgebende, Gewerkschaften und Gerichte teilhaben?