Profil des Graduiertenkollegs

Die in der ersten Phase des Graduiertenkollegs entstandenen Forschungsarbeiten und Publikationen haben auf vielfältige Weise gezeigt, dass Automatismen in kulturellen wie in technischen Entwicklungen eine wichtige Rolle spielen, und es ist gelungen, den Begriff in die deutsche Theoriediskussion einzubringen. Grundhypothese der ersten Phase war, dass Automatismen Mechanismen der Strukturentstehung sind. Hierdurch wurde der Begriff auf eine neue Weise gefasst: Sind Automatismen zunächst durch Wiederholung bestimmt, wird nun deutlich, dass durch Automatismen Neues entsteht. Die Problemstellung des Kollegs, seine Hypothesen und ersten Ergebnisse haben Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden.

Weiterentwicklung der zentralen Forschungsidee

Die zweite Forschungsphase soll hierauf aufbauen und das Thema des Kollegs in eine neue Richtung vertiefen. In der Diskussion ist immer wieder der Aspekt aufgetaucht, dass Automatismen Komplexität reduzieren.
 
Dass Automatismen eine Reduzierung von Komplexität leisten, kann in unterschiedlichen Problembereichen beobachtet werden: In den Medien etwa wären Prozesse der Konventionalisierung und der Habitualisierung zu nennen; Massenmedien sind durch eine starke Schemabildung bestimmt. Niemand will, dass sich solche Schemata bilden, sie entstehen im Rücken der Beteiligten, als Automatismus. Und dennoch sind sie hoch wirksam, indem sie ein schnelles, quasi ‚automatisches‘ Wiedererkennen erlauben; sie reduzieren Komplexität, indem sie das Material auf eine ökonomische Weise ordnen. 
 
In ähnlicher Weise kann auch die Entstehung neuer Technik Komplexität reduzieren: Wo es gelingt, Handlungssequenzen zu formalisieren und in Programme oder Hardware zu fassen, sind die Nutzer von ihrer Komplexität weitgehend befreit. Um den Preis allerdings, dass die Vorgänge für die Nutzer undurchschaubarer werden; die Techniksoziologie hat deshalb von einem ‚Blackboxing‘ gesprochen. Und gleichzeitig steigern Technisierungsprozesse Komplexität; Komplexitätsreduzierung und -steigerung erscheinen verschränkt; die Forschung hätte die Aufgabe, die Automatismen in dieser Wechselbeziehung sichtbar zu machen.
 
Ein drittes Beispielfeld sind Mechanismen der Selbstorganisation. Wo Komplexität zunimmt, scheint eine zentrale Steuerung immer schwieriger, und droht häufig ganz zu versagen. In vielen Bereichen – Informationstechnik, Kultur, Wirtschaft, Betriebsorganisation und Logistik – wird deshalb versucht, Steuerung durch Selbststeuerung und Hierarchien durch verteilte Systeme, Eigenverantwortung und Feedbackloops zu ersetzen. Diese Entwicklung hat die Kybernetik bereits in den 60er Jahren im Vorgriff beschrieben; im kritischen Anschluss an deren Denkweise und Vokabular wäre auch hier zu zeigen, welche Rolle ‚Automatismen‘ im Management von Komplexität spielen.
 
Von großer Bedeutung schließlich ist das Feld der Kunst. Kunst, Literatur und Film haben zu Automatismen ein traditionell gespanntes Verhältnis; die Kunst der Moderne hat Komplexität eher gesteigert als reduziert, Kunsttheoretiker haben programmatisch eine Entautomatisierung der Wahrnehmung vertreten. Gerade deshalb aber ist das Feld der Kunst wichtig: Auf ihrem Terrain stellt sie aus, was Automatismen, was Komplexität und ihre Reduzierung bedeuten, welchen Preis das Komplexitätsmanagement hat und wo seine systematischen Grenzen liegen.
 
Die genannten Beispielfelder werden zusammengehalten durch die Hypothesen, die in der ersten Phase des Kollegs erarbeitet wurden. Es hat sich herausgestellt, dass man Automatismen als Kulturtechniken beobachten und beschreiben kann, die präzise gesellschaftliche Funktionen erfüllen. Hier greift das Projekt einen Begriff auf, mit dem die Medien- und Kulturtheorie – im Anschluss an die Ethnologie – Kulturproduktion als eine technologische Praxis beschreibt. Automatismen allerdings sind Kulturtechniken besonderen Typs, weil sie nicht bewusst oder zielgerichtet eingesetzt werden. Dass es Kulturtechniken gibt, die sich blind, ohne das Bewusstsein der Beteiligten vollziehen, wäre die Perspektive, die das Projekt zur Kulturtechnikforschung beisteuern kann.