„Her­aus­for­de­run­gen an die is­la­mi­sche Theo­lo­gie in Eu­r­o­pa“ – Er­folg­rei­che Fach­ta­gung vom 10.-12. Ju­ni 2011 in Müns­ter

Die Etablierung islamischer Theologie an deutschen Universitäten im Kontext der Entwicklung islamischer Theologie in Europa ist ein gegenwärtig viel diskutiertes Thema in Politik und Gesellschaft. Am vergangenen Wochenende kamen in Münster herausragende Denker der islamischen Theologie zusammen, um mit Islamwissenschaftlern und Theologen ins Gespräch zu kommen. Ziel war, inhaltliche Debatten zu ausgewählten Themen wie islamisches Recht, Koranexegese, das Verhältnis von Tradition und Moderne sowie zu Glaube und Vernunft, Ethik und Pädagogik anzuregen und erste Konturen des Selbstverständnisses von islamischer Theologie sichtbar zu machen.

Das Anliegen der akademischen, rationalen Reflexion der islamischen Theologie im Kontext der europäischen Kultur wurde eingangs von der Prorektorin der Universität Münster, Dr. Marianne Ravenstein, gelobt: nur so könne sich der Islam auf Augenhöhe mit anderen Theologien und Wissenschaften entwickeln.  Der Vorsitzende des Islamrates Ali Kizilkaya begrüßte den Ansatz der Tagung, islamische Denker in den deutschen Diskurs hineinzuholen um so zu zeigen, was andernorts möglich, hier aber bisher kaum bekannt sei. Aiman Mazyek, Sprecher des Koordinierungsrats der Muslime unterstrich die Wichtigkeit der theologischen Rechtssicherheit der Muslime in Deutschland. Von der universitären Forschung und Lehre würden hierzulande intelligente und kompetente Kompromisslinien zwischen Traditionalisten und Modernisten erwartet, die für die Gläubigen praktische Lebenshilfen böten; die Etablierung islamischer Lehrstühle begleite man mit Vertrauen.

Während der verschiedenen Vorträge wurde eine große innerislamische Vielfalt von Ansätzen sichtbar, wie mit den Herausforderungen der Moderne umzugehen sei. So plädierte Prof. Tariq Ramadan (Oxford) für ein angemessenes Verhältnis zwischen heiligen Texten und ihren Auslegern. Entscheidend sei es, den jeweiligen Kontext zu reflektieren. Dabei gelte es, sowohl dem Text verpflichtet zu bleiben, als auch Lösungen für Probleme der Gegenwart aus ihm zu generieren. Für eine gegenwartsrelevante Ethik  müssten Theologen mit Wissenschaftlern aller Disziplinen zusammenarbeiten.

Der Rechtsgelehrte Prof. Khaled Abou El-Fadl (Los Angeles) plädierte für ein zu erreichendes Gleichgewicht zwischen Verstand und Tradition. Muslime sollten das reiche Erbe der Sharia nicht fallen lassen, diese aber auch nicht verabsolutieren und losgelöst von anderen Rechtssystemen und Disziplinen wie Anthropologie und Soziologie betrachten.

Prof. Hassan Hanafi (Kairo) forderte die Entwicklung von neuen Theologien der sozialen Gerechtigkeit und Freiheit, mit denen der Islam auch einen wichtigen Beitrag für gegenwärtige Krisen in Europa leisten könne.

Einen essentiellen Stellenwert in den Debatten nahm die Frage nach dem angemessenen Umgang mit den islamischen der Quellen ein. Die Arabistin Prof. Angelika Neuwirth (Berlin) machte den Koran als einen Text der Spätantike anschaulich, der mit den heiligen Schriften von Juden und Christen korrespondiere und deshalb auf Augenhöhe mit anderen Schriften der europäischen Kultur anerkannt werden solle. Die Herausforderung der islamischen Theologie im 21. Jh. sei es, die nichtislamische Gesellschaft neu aufzumischen: der Begriff eines nur exklusiv gedachten christlich-jüdischen Abendlandes müsse neu überdacht werden. Demgegenüber vertrat der Philosoph Dr. Milad Karimi (Freiburg) einen ästhetischen Zugang zum Koran: Dieser sei primär kein Text, sondern ein dynamisches Ereignis zwischen Gott und Mensch. Nur wenn man um dieses Wesen des Koran wisse, können man auch eine adäquate Methode entwickeln, ihn zu deuten. Die Bedeutung der Tradition wurde von Prof. Burhanettin Tatar (Samsun) als Verknüpfung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herausgestellt. Religiöse Bedeutung sei deshalb nicht für alle Zeiten starr gegeben sondern bleibe durch die Zeiten hindurch beweglich. Dr. Kemal Ataman (Bayreuth) hob in ähnlicher Weise die Metapher des Horizonts hervor, der immer neu und anders aufscheinen könne, wo sich Standpunkte veränderten. Über neue Formen des Umgangs mit der islamischen Tradition der Hadithe und der Sunna sprachen Prof. Dr. Bünyamin Erul (Ankara) und Dr. Haifaa Jawad (Birmingham). Als alle Aspekte des menschlichen Lebens umfassenden Überlieferungen zeigen sie, wie der Koran überhaupt im Leben der Gläubigen zu realisieren sei. Für die Neuinterpretation sei eine islamische Methodologie notwendig, die integrativ und identitätsstiftend für Muslime wirke. 

Die gesamte Tagung war geprägt von intensiven inner-islamischen Diskussionen, in der das leidenschaftliche Ringen um eine Neuausrichtung des Islam zum Ausdruck kam: Das reiche islamische Erbe müsse so fruchtbar gemacht werden, dass es für Probleme der europäischen Gegenwart hilfreiche Antworten geben könne. Es bleibt zu wünschen, dass der im Rahmen der Errichtung islamischer Theologie an deutschen Universitäten spürbar progressive Geist auch Auswirkungen auf die christlichen Theologien haben wird.


Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster,
Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften (ZeKK), Universität Paderborn


Sandra Lenke, ZeKK

Kontakt:
Prof. Dr. Klaus von Stosch, Vorsitzender des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften der Universität Paderborn (ZeKK),
Tel.: 05251-60-2362
klaus.von.stosch[at]uni-paderborn.de
www.upb.de/zekk