Start der Ring­vor­le­sung „En­t­au­to­ma­ti­sie­rung“ des Gra­du­ier­ten­kol­legs Au­to­ma­tis­men am 19.10.2010 mit Die­ter Mersch von der Uni­ver­si­tät Pots­dam „Or­do ab chao. Über die ky­ber­ne­ti­sche Hy­po­the­se und an­de­re Mon­s­tro­si­tä­ten“

Dieter Mersch (Universität Potsdam) am 19.10., 18-20 Uhr über: „Ordo ab chao. Über die kybernetische Hypothese und andere Monstrositäten“

Ordo ab chao, „Ordnung aus dem Chaos“, bildet eines der ältesten Extrakte antiker Mystizismen; es kehrt wieder im "Order from Noise" der Second Order Cybernetics, die damit ihre esoterische Herkunft bezeugt. Tatsächlich kulminiert in ihm ein Gegensatz, der gleichzeitig das Lager der Kybernetiker aufteilt: als Phantasma einer neuen Weise der Steuerung und Kontrolle gesellschaftlicher Kommunikation durch Feedbackschleifen („Rechtskybernetiker“) und umgekehrt als Moment der Kreativität und Emergenz neuer Musterungen in chaotischen Systemen („Linkskybernetiker“). Verbunden ist damit jedoch in beiden Fällen die paradoxe Vorstellung, mittels kybernetischer Strukturierung einen anderen, demokratischen Menschentyp zu schaffen, in dem sich reflexive Selbststeuerungen mit schöpferischer Freiheit kreuzen. Der Vortrag rekonstruiert nicht nur die monströsen technizistischen Ansprüche der Kybernetik der 1950er bis 80er Jahre, sondern zugleich die Bruchstellen jener Singularitäten, an denen die „kybernetische Hypothese“ scheitert.

Raum: E5.333


Ute Holl (Universität Basel) am 2.11., 18-20 Uhr: „Per Zufall aus der Bahn geworfen: Strategien der Entautomatisierung bei Robert Bresson“

Robert Bresson führte ein strenges Regime der endlosen Wiederholung in sein Schauspieltraining ein, um dadurch zu zeigen, dass "9 Zehntel unserer Bewegungen der Gewohnheit und dem Automatismus gehorchen" und dass es "anti-natürlich" sei, sie dem Willen und dem Denken zu unterwerfen. Sichtbar entautomatisiert wird der triebgelenkte Mensch durch den Zufall und die Notwendigkeit, sich im Unvorhergesehenen zu entscheiden. Bressons Filme zeigen die Strukturen des Unbewussten im Bruch, im Riss, im Fallen aus der Fassung des Automatismus.

Raum: E5.333


Christopher Balme (Universität München) am 16.11., 18-20 Uhr: „Ereignis und Öffentlichkeit im postdramatischen Theater“

Im theaterwissenschaftlichen Diskurs stehen die beiden Begriffe "Ereignis" und "Öffentlichkeit" scheinbar in einem gegensätzlichen Verhältnis zueinander. Die Einmaligkeit des Ereignisses ist konstitutiv für die transitorischen Kunstformen Theater und Performance, während die raumzeitlichliche Kontinuität der Öffentlichkeit als Bestandteil der institutionellen, nicht aber der ästhetischen Verfasstheit von beiden gilt. In neueren Entwicklungen im postdramatischen Theater wird dieser Gegensatz in Frage gestellt. Einerseits sucht das postdramatische Theater neue Darstellungsformen und -räume, die in der Öffentlichkeit situiert sind, andererseits konstituiert sich das Verhältnis zur Öffentlichkeit neu. Diese neue Verhältnisbestimmung wird anhand zweier, die Grenzen des konventionellen Theaters sprengende Produktionen untersucht: Christoph Schlingensiefs Bitte liebt Österreich! (2001) und Marina Abramovis The Artist is Present (2010).

Raum: E2.122


17.11., 14-16 Uhr: Amy Alexander (University of California San Diego): “About... Software, Subjectivity, Scariness and SVEN“ und Carmin Karasic (Eindhoven): über „The SjansMachine“

Amy Alexander: If computer vision technology can be used to detect when you look like a terrorist, criminal, or other "undesirable" - why not when you look like a rock star? Amy Alexander will discuss the SVEN project and the subjective aspects of software. SVEN (Surveillance Video Entertainment Network) is a public space software art project that uses custom computer vision software to detect pedestrians who in some way look like rock stars. The talk will introduce SVEN’s approach to software subjectivity―in this case, computer vision surveillance software. It will also take a look at software bias and software literacy in contemporary culture.

Carmin Karasic: Carmin Karasic will discuss SjansMachine (chance machine), a hybrid installation that brings social network "friending" into real space. SjansMachine suggests friends via face detection, QR tags, and Augmented Reality markers. The artwork will be contextualized within a critique of subjective technologies that guide social behavior. This view necessarily includes issues of personal data representation; SjansMachine algorithms subjectively decide when to snap a portrait to display virtually and in public, matched with a new friend of course!

Raum: E2.122


Walter Siegfried (München) am 30.11., 18-20 Uhr: „Entautomatisierung am eigenen Leib“

Im performativ vorgetragenen Bericht über die Stadttänzer - eine Künstlergruppe, die sich in den späten 80er Jahren des letzten Jahrhunderts mit den Wechselwirkungen zwischen Architektur und Bewegung befasste - werden Automatismen von Bewegungsabläufen im städtischen Raum aufgezeigt. Entautomatisierung kann erst dann eintreten, wenn die Automatismen als solche erkannt worden sind. Diese Erkenntnis wird im Fall der Stadttänzerei nicht durch Analyse von außen gewonnen, sondern durch Selbstvollzug, durch Bewegungsempfindung, durch Kinästhesie. Erst wenn am eigenen Leib erfahren und bewusst gemacht wird, was die Mitwelt mit mir macht, kann ich entscheiden, ob ich es mit mir machen lassen will oder ob ich eine Bewegung dagegensetze.

Raum: E2.122


Laura Marks (Simon Fraser University, Vancouver) am 14.12., 18-20 Uhr: “Thinking like a carpet: embodied perception and artificial life”

Free from the requirement to represent figures, Islamic art anticipates artificial life by carrying out algorithmic processes, such as recursion and self-organization. Interestingly, non-figurative art inspires responses in the body, as we will see in a brief history of Islamic patterns that confound figure and ground and in turn disrupt the certainty of embodied subjectivity. The question of (de)automatization enters with the common assumption that technical production cannot match the artist’s hand and eye in their ability to spontaneously create the new. But as Gilbert Simondon writes, the essential thing is not hand-craft, but that the object is „based on an analytical organization which always leaves the way clear for new possibilities, possibilities which are the exterior manifestation of an interior contingency.”

Raum: E5.333


Drehli Robnik (Universität Wien) am 11.1., 18-20 Uhr: "Macht es nicht selbst". Zu einigen politiktheoretischen Implikationen der Filmästhetik von Jacques Rancière unter Berücksichtigung seiner Deleuze-Rezeption

In der Rezeption der Schriften Jacques Rancières werden seine filmtheoretischen und -kritischen Arbeiten meist im begriffslogischen Horizont seiner allgemeinen Ästhetik diskutiert. Dieser Vortrag unternimmt dagegen den Versuch, Rancières Überlegungen zum Film aus der Perspektive seiner Theorie der Politik zu erörtern. Es wird aufgezeigt, dass Rancières Kritik der Ethik, insbesondere jener, die er der Deleuze'schen Ästhetik attestiert, dazu beiträgt, dass seine Filmtheorie einige Residuen eines Letztbegründungsdiskurses und Gesten apriorischer Nobilitierung vermeidet – und zwar jene, die aus der Sicht demokratietheoretischer Kritik jüngst an Rancières Politikbegriff diagnostiziert wurden. Eine Akzentverschiebung von Deleuze als (Kino-)Ästhetiker des außermenschlichen Werdens hin zu einem ereignislogisch überformten Deleuze'schen Affekt(bild)begriff könnte Anschlussstellen sowohl an Filmtheoreme demokratischer Artikulation als auch an eine unter Chiffren wie "Ereignis" oder "Unterbrechung" formulierte Kritik der Automatisierung markieren.

Filmische Affektbilder aus Deluzes Kinobüchern werden vorgestellt.

Raum: E5.333


Michaela Ott (Hochschule für bildende Künste Hamburg) am 25.1., 18-20 Uhr: „Entaffizierter Affekt“

Während das Gemeinverständnis den Affekt mit impulsgesteuerter emotionaler Abreaktion und gewohnheitsmäßigem Automatismus verbindet, interessieren sich gewisse Philosophien für die Vorgänge der Affizierung aufgrund ihrer unterbrechenden Vermittlungstätigkeit. Im Bereich der Wahrnehmung bezeichnet Affizierung einen Vorgang disjunktiver Synthese, insofern das zu Übertragende gerade nicht automatisch durchgestellt und das aufeinander Bezogene von ihr zunächst auseinander gehalten wird. Im „Übertragungsstau“ lädt sich der Zwischenraum selbst zu einem Empfindungsfeld auf und gibt den Einsatzpunkt für sprachliche und bildliche Kodierungen ab. Als Übersetzung von gr. „pathos“ und lat. „affectio“ bezeichnet Affizierung mithin eine passiv-aktive Schaltstelle, die für trennende Verbindungen innerhalb des Einzelnen wie zwischen den Einzelnen und ihren Umwelten und Welten zuständig ist. Im Vortrag werden insbesondere die diesbezüglichen Ausführungen von Nietzsche, Henri Bergson, Merleau-Ponty und Deleuze zur Sprache kommen, die den Vorgang der Affizierung mit bestimmten Zeitverständnissen binden und in der Zeit als solcher grundlegen.

Filmische Affektbilder aus Deluzes Kinobüchern werden vorgestellt.

Raum: E5.333