Männlichkeitsforschung/Men´s Studies

Bei Männlichkeitenforschung, auch als Men’s Studies oder seltener als Männerforschung bezeichnet, handelt es sich um einen Forschungsbereich der Gender Studies/Geschlechterforschung, der danach fragt, wie Männlichkeit bzw. männliche Identität(en) konstruiert werden (vgl. Vahsen 2002a: 248). Dementsprechend findet auch eine intensive Auseinandersetzung mit männlichen Lebenswelten statt, die sich sowohl auf erwachsene Männer als auch auf Kinder und insbesondere Jugendliche bezieht. 

Nachdem die Zweite Frauenbewegung jahrelang Kritik an der fehlenden Auseinandersetzung mit Frauen und weiblichen Lebenswelten geäußert hatte und es ihr gelungen war, diese zum Gegenstand von Forschung zu machen sowie in das öffentliche Bewusstsein zu rücken, forderte sie auch eine stärkere Beschäftigung mit männlichen Lebenswelten samt der ihnen inhärenten Unterschiede und Widersprüche. So wurde lange Zeit von Männlichkeit als einem monolitischen Block ausgegangen – der Mann galt stattdessen „als Repräsentant des, schlechthin Allgemeine[n]‘ (Simmel, 1985, S. 214)“ (Scholz 2015: Absatz 1).

Für die in Deutschland erst in den 1990er Jahren verspätet Einzug haltende Männlichkeitsforschung war zudem die in den 1970er/80er Jahren innerhalb des anglo-amerikanischen Raums einsetzende Entwicklung bedeutsam: Dort formulierten zu einer Bewegung angewachsene heterosexuelle und schwule Männergruppen Kritik an den als unzureichend wahrgenommenen dominierenden Männlichkeitsbildern. Entsprechend standen zunächst männliche Identitäten und Erfahrungswelten im Vordergrund des Interesses. Die ab den 1990er Jahren zunehmende Auseinandersetzung mit geschlechtertheoretischen Grundlagen, feministischer Männerforschung sowie den Gay-Studies führte jedoch zu einer Veränderung der methodologischen Herangehensweisen sowie zur Wahrnehmung der Pluralität bzw. Vielfalt männlicher Existenzweisen. (Vgl. Vahsen 2002a: 248)

Insbesondere der von Carrigan, Connell und Lee (1996) formulierte Aufsatz Ansätze zu einer neuen Soziologie der Männlichkeit (Engl. Toward a New Sociology of Masculinity, 1985) und Connells Ausführungen zu Gender and Power (Dt. Der gemachte Mann, 1999) hatten auf die Theorieentwicklung der Männlichkeitsforschung großen Einfluss. Das zunächst von Carrigan, Connell und Lee formulierte Konzept der hegemonialen Männlichkeit stellt auch heute – trotz Kritik vor dem Hintergrund sich transformierender gesellschaftlicher (Geschlechter-)Verhältnisse – einen grundlegenden Ansatz dar, der stetig weiterentwickelt wird (vgl. Meuser 2010; Scholz 2019). In der mittlerweile ein Standardwerk der Geschlechter- und Männlichkeitsforschung darstellenden Weiterentwicklung des Konzeptes der hegemonialen Männlichkeit von Connell (Gender and Power) befasst sie sich mit der Relation von patriarchalen Strukturen und damit einhergehenden Machtkonstellationen und zeigt dabei – und hierin besteht der Mehrwert ihrer Theorie – ein doppeltes Unterdrückungsverhältnis auf (vgl. u. a. Vahsen 2002a: 248): das von Männern gegenüber Frauen sowie das zwischen Männern untereinander. Connell (1999) unterscheidet insgesamt vier Handlungspraxen von Männlichkeit bzw. Männlichkeitskonzepte: (1) die hegemoniale, d. h. die herrschende und innerhalb von einem historischen wie kulturellen Kontexten milieuübergreifend akzeptierte Form von Männlichkeit – dieser sind alle anderen Männlichkeitsentwürfe untergeordnet –, (2) die komplizenhafte Männlichkeit, die in Form der „patriarchalen Dividende“ von der Macht derjenigen Männer profitiert, die die hegemoniale Männlichkeit verkörpern, sowie (3) untergeordnete und (4) marginalisierte Männlichkeiten. Während als marginalisiert vor allem solche Männlichkeitsentwürfe gelten, die – etwa aufgrund von Ethnizität – nur bedingt von den aus dem Patriarchat hervorgehenden Vorteilen profitieren, zählt Connell zur untergeordneten Männlichkeit vor allem homosexuelle Männer. Aufgrund der ihnen zugeschriebenen Nähe zur Weiblichkeit gelten sie (ähnlich wie Frauen) als untergeordnet. Dennoch zeigen sich immer wieder Überlappungen zwischen diesen vier Kategorien, die vom gesellschaftlichen Wandel nicht unangetastet bleiben.

Ein Fokus in der internationalen Forschung zu Männlichkeiten richtet sich in den letzten Jahren etwa u. a. auf Männlichkeitsentwürfe im transnationalen Kontext: „Connell (1998) vertritt die These, dass derzeit die älteren, lokalen, in den lokalen herrschenden Klassen und konservativen Kulturen verankerten Modelle von bürgerlicher Männlichkeit [im deutsprachigen Raum wäre das etwa das auf dem Normalarbeitsverhältnis basierende Ernährermodell, Erg. d. d. A.] von einer transnationalen Männlichkeit abgelöst werden, deren Modell der Geschäftsmann ist. Verglichen mit den älteren hegemonialen Männlichkeiten ist diese Männlichkeit individualistischer, ,liberaler‘ in Bezug auf Sexualität und soziale Einstellungen und eher an Macht durch Marktbeherrschung orientiert als an bürokratischer Macht.“ (Wedgwood/Connell 2010: 120) Auch ist zu diskutieren, ob Frauen mittlerweile eine der hegemonialen Männlichkeit vergleichbare Form hegemonialer Weiblichkeit verkörpern können (vgl. dazu Scholz 2010; kritisch: Stückler 2013).

Ähnlich wie die Theorie Connells ist auch diejenige Pierre Bourdieus zur männlichen Herrschaft nach Meuser (2001) – ihm ist v. a. die Verbindung beider Theorien zu verdanken (vgl. Meuser 2006) – durch eine „doppelte Distinktions- und Dominanzstruktur“ (Meuser 2001: 7) gekennzeichnet: der Unterordnung von Frauen sowie dem Bedürfnis nach der Dominanz über andere Männer (vgl. ebd.). Während Connell den Fokus aber v. a. auf die Beziehungen der Männer untereinander richtet, fokussiert Bourdieu primär Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen. Ihm zufolge wird der männliche Habitus „[k]onstruiert und vollendet […] nur in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen […]“ (Bourdieu 1997: 203). Frauen sind von diesen ernsten Spielen zwar ausgeschlossen, können jedoch dazu beitragen, das symbolische Kapital der Männer innerhalb der sog. Spiele (bspw. durch ihr Äußeres) zu steigern.

Die Männlichkeitenforschung ist mittlerweile neben der Soziologie in vielen anderen Disziplinen wie der Erziehungswissenschaft, der Literaturwissenschaft, der Geschichtswissenschaft oder auch der Gesundheitswissenschaft vertreten. Gemeinsame Themenschwerpunkte sind nach Vahsen (2002a: 249) u. a.: die männliche Sozialisation, Jungenforschung, Gewalt, männliche Sexualität, Männlichkeit und Arbeit, Männlichkeiten in Organisationen, Männergesundheit und Männergeschichte; in den letzten Jahren ist insbesondere die Auseinandersetzung mit Fragen von Männlichkeit, Vaterschaft und Väterlichkeit zu einem breiten Forschungsfeld avanciert (vgl. exempl.  Meuser/Scholz 2012). Zu unterschiedlichen Strängen und Ansätzen der Männlichkeitenforschung sowie deren Schwerpunkten und Zielsetzungen siehe exemplarisch Vahsen 2002a: 249 und –  mit Fokus auf den internationalen Kontext – Wedgwood/Connell 2010.

(Weiterführende) Literatur:

Bourdieu, Pierre (1997): Die männliche Herrschaft. In: Dölling, Irene/Krais, Beate (Hrsg.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 153-217.

Brod, Harry (Hrsg.) (1987): The making of masculinities: the new men's studies. London: Allen & Unwin.

Brod, Harry/Kaufman, Michael (Hrsg.) (1994): Theorizing masculinities. Thousand Oaks u.a.: Sage Publ.

Carrigan, Tim/Connell, Robert W./Lee, John (1996): Ansätze zu einer neuen Soziologie der Männlichkeit. In: BauSteineMänner (Hrsg.): Kritische Männerforschung. Neue Ansätze in der Geschlechtertheorie. Hamburg: Argument-Verlag, S. 38-75.

Connell, Robert W. (1987): Gender and power: society, the person and sexual politics. Stanford Calif.: Stanford Univ. Press.

Connell, Robert W. (1999): Der gemachte Mann: Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Hrsg. von Müller, Ursula, übers. von Stahl, Christian. In: Geschlecht und Gesellschaft, Bd. 8, Opladen: Leske + Budrich.

Horlacher, Stefan/Jansen, Bettina/Schwanebeck, Wieland (2016): Männlichkeiten. Ein interdisziplinäres Handbuch. Heidelberg: J.B. Metzler.

Meuser, Michael (2001): Männerwelten. Zur kollektiven Konstruktion hegemonialer Männlichkeit. In: Schriften des Essener Kollegs für Geschlechterforschung. Hrsg. von Janshen, Doris/Meuser, Michael. 1. Jg., Heft II, S. 5-32.

Meuser, Michael (2006): Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kuzlturelle Deutungsmuster. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Meuser, Michael (2010): Geschlecht, Macht, Männlichkeit – Strukturwandel von Erwerbsarbeit und hegemoniale Männlichkeit, S. 325-336. – Replik: Hegemoniale Männlichkeit – ein Auslaufmodell? In: Erwägen, Wissen, Ethik (EWE) 21, H. 3, S. 415-431.

Meuser, Michael/Scholz, Sylka (2012): Herausgeforderte Männlichkeiten. Männlichkeitskonstruktionen im Wandel von Erwerbsarbeit und Familie. In: Baader, Meike/Bilstein, Johannes/Tholen, Toni (Hrsg.): Erziehung, Bildung und Geschlecht. Männlichkeiten im Fokus der Gender-Studies. Wiesbaden: Springer VS, S. 23-40.

Scholz, Sylka (2010): Hegemoniale Weiblichkeit? Hegemoniale Weiblichkeit! In: Erwägen. Wissen. Ethik Jg. 21, S. 396-398.

Scholz, Sylka (2015): Männlichkeit in der Soziologie. In: Gender Glossar / Gender Glossary (5 Absätze). Verfügbar unter: gender-glossar.de

Scholz, Sylka (2019): Männlichkeitsforschung: die Hegemonie des Konzeptes „hegemoniale Männlichkeit“. In: Kortendieck, Beate; Riegraf, Birgit; Sabisch, Katja (Hrsg.): Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Wiesbaden: Springer.

Stückler, Andreas (2013): Auf dem Weg zu einer hegemonialen Weiblichkeit? Geschlecht, Wettbewerb und die Dialektik der Gleichstellung. In: Gender, Heft 3 (2013), S. 114-130.

Vahsen, Mechthilde (2002a): Männerforschung (Men’s Studies/New Men’s Studies/Men’s Movement). In: Metzler Lexikon Gender Studies / Geschlechterforschung. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Knoll, Renate. Stuttgart: J. B. Metzler, S. 248f.

Vahsen, Mechthilde (2002b): Männerforschung, feministische. In: Metzler Lexikon Gender Studies / Geschlechterforschung. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Knoll, Renate. Stuttgart: J. B. Metzler, S. 249f.

Wedgwood, Nikki/Connell, RW: Männlichkeitsforschung: Männer und Männlichkeiten im internationalen Forschungskontext. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hrsg.) unter Mitarbeit von Budrich, Barbara/Lenz, Ilse/Metz-Göckel, Sigrid/Müller, Ursula/Schäfer, Sabine: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung: Theorie, Methoden, Empirie. 3. erweiterte und durchgesehene Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft, S. 116-125.

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