Wettbewerbsfähigkeit und Konkurrenz unter Mitbewerbern mit demselben Qualitätsmerkmal

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Neues Forschungsprojekt an der Universität Paderborn

Weltweit als Gütesiegel bekannt, verspricht „Made in Germany“ hohe Standards. Jüngstes Beispiel für das, was aber passiert, wenn einzelne Vertreter einer Gruppe dieses Versprechen brechen, ist der Skandal um manipulierte Abgaswerte in der deutschen Automobilbranche. Wie der Spagat zwischen eigener Unternehmensidentität und dem gleichzeitigen Teilen gemeinsamer Werte einer ganzen Statusgruppe gelingen kann und was geschieht, wenn einzelne Akteure den guten Ruf eines Verbundes beschädigen, wird jetzt in einem neuen Forschungsprojekt von Prof. Dr. Kirsten Thommes, Paderborner Professorin für „Organziational Behaviour“, untersucht. Die Wirtschaftswissenschaftlerin erforscht, wie Unternehmen Wettbewerbsvorteile nutzen und organisationale Identität schaffen können. Das Vorhaben wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit rund 400.000 Euro gefördert.

Identität als Gemeinschaftsgut

„Die Zugehörigkeit zu einer Region wird zu einem Qualitätsmerkmal, das alle dort ansässigen Unternehmen, die natürlich auch die gleichen Kundengruppen haben, für sich nutzen wollen. Besonders deutlich wird das, wenn gleiche Waren produziert werden. In dem Kooperationsprojekt mit der TU Ilmenau untersuchen wir, wie es gelingen kann, sowohl für das eigene Haus  – und damit identitätswahrend – als auch für die gesamte Region und damit gleichzeitig für die Konkurrenz zu werben“, so die Wissenschaftlerin.

„Verschiedene Unternehmen, die eigentlich in Konkurrenz zueinanderstehen, bilden dabei eine sogenannte Clusterressource“, erklärt Thommes. Was abstrakt klingt, wird am Beispiel einer für Luxusuhren bekannten Region greifbar: Berühmt für ihre Chronometer, die mitunter so viel kosten wie ein Kleinwagen, sind im Erzgebirge mehrere Manufakturen angesiedelt, die sich das Label „Made in Glashütte“ teilen. Damit einher geht ein Markenversprechen, das für höchste Qualität steht. Welchen Einfluss Entwicklungen, wie es sie aktuell in der Automobilindustrie gibt, auf organisationale Identitäten haben, wird beim Projekt anhand des Uhrenclusters erforscht. Thommes stellt fest: „Die Auswirkungen solcher Fehlleistungen auf andere Akteure der Gruppe sind bislang in der Forschung kaum adressiert worden“.

Organisationale Identität

„Durch das Zusammenarbeiten von Menschen in Organisationen entsteht ein gemeinschaftliches Verständnis. Es bildet sich eine kollektive Identität, die über Selbstbild und Erfolg eines Unternehmens mitentscheidet. Bisweilen ist aber noch gar nicht geklärt, welche Faktoren dafür maßgeblich sind“, so Thommes. Mithilfe eines Multi-Level-Ansatzes, der sowohl die Perspektive der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Organisationen als auch die Ebene des organisationalen Feldes einbezieht, soll es nun gelingen, diese Faktoren zu identifizieren. Dazu Thommes: „Das Uhrencluster steht exemplarisch für eine starke Clusteridentität, die zu den jeweiligen Unternehmensidentitäten hinzukommt.“

Analyse der Kommunikation gibt Aufschluss über Unternehmenswerte

Um belastbare Ergebnisse zu gewinnen, wertet das Team um die Paderborner Wirtschaftswissenschaftlerin u. a. sogenannte „Crawler-Daten“ aus. Das sind Informationen, die aus Unternehmensseiten im Internet, sozialen Netzwerken oder Broschüren stammen und öffentlich zugänglich sind. Die Forscherinnen und Forscher interessiert dabei vor allem, wie die Unternehmen über Mitarbeitende, aber auch über ihre Mitbewerberinnen und -bewerber sprechen. „Es geht uns um den gezielten Umgang mit sozialen Prozessen, die das Verhalten der Angestellten beeinflussen. Zusätzlich untersuchen wir Archivdaten und internes Material wie Gerichtsakten oder Designproben, die schließlich ein rundes Bild von der Unternehmensidentität und dem Selbstverständnis erzeugen“, fasst Thommes zusammen.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts, das noch bis November 2021 läuft, sollen aufzeigen, wie Firmen Wettbewerbsvorteile gezielt nutzen und dadurch Mitarbeiter langfristig an sich binden können. Am Ende wollen die Wissenschaftler identifizieren, wie es gelingt, traditionelle Werte zu wahren und dennoch mit dem aktuellen technologischen und sozialen Wandel Schritt zu halten.


Nina Reckendorf, Stabsstelle Presse und Kommunikation

Foto (Universität Paderborn, Nina Reckendorf): Prof. Dr. Kirsten Thommes untersucht organisationale Identität anhand des bekannten Uhrennetzwerks in Glashütte.

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