Comics im Geschichtsunterricht

Prof. Dr. Johannes Meyer-Hamme erklärt, warum Graphic Novels ein gutes Instrument für einen demokratischen Geschichtsunterricht sind 

Johannes Meyer-Hamme ist Professor für Didaktik der Geschichte. Zusammen mit anderen Bildungsexpertinnen und -experten der Universität Paderborn bietet er Mitte September eine Comic-Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer an.

Herr Meyer-Hamme, Comics im Unterricht – ist das wirklich so neu und innovativ?

Na ja, Comics gibt es ja schon ziemlich lange und die Idee, sie im Unterricht einzusetzen, auch. Aber tatsächlich kommen sie – nach allem, was wir empirisch wissen – im deutschen Geschichtsunterricht so gut wie nicht vor. Also ja, insofern ist der Einsatz von Comics als Lehrmaterial innovativ.

Warum eignen sie sich gerade im Geschichtsunterricht besonders als Lernmedium?

Zunächst einmal könnte man sagen, dass Comics mit ihrer Bild-Text-Kombination ein sehr „schülernahes“ Medium sind und sich deshalb gut als Informationsträger für diese Zielgruppe eignen. Aber das allein greift aus meiner Sicht zu kurz. In vielen Graphic Novels wird historisch erzählt. Es werden etwa Biografien erzählt und damit historische Ereignisse in ganz konkrete lebensweltliche Kontexte gestellt. Zudem werden die erzählten Geschichten stark vereinfacht und komprimiert, so dass ihr Erzählcharakter sehr deutlich wird. Und das ist es, was solche Geschichtscomics für mich so interessant macht: Sie regen zur Analyse der Erzählung und damit zur Reflexion an – Wie wird hier historischer Sinn konstruiert? Wir nennen das Dekonstruktion historischer Narrationen. Mit Geschichtscomics finden Schüler einen leichteren Zugang dazu als mit anderen Medien. Deshalb ist der Lerneffekt größer.

Also geht es im Geschichtsunterricht nicht mehr nur darum, historische Fakten zu lernen.

Nein, nicht nur. Heutige Konzepte historischen Lernens zielen vor allem darauf, mit Geschichte umgehen zu können. Dabei steht meist die Re-Konstruktion von Vergangenheit im Zentrum. Ich meine aber, dass die Schüler zusätzlich auch lernen sollen, fertige Geschichten zu de-konstruieren, d. h. immer mitzudenken, dass es keine allgemeingültigen historischen Wahrheiten gibt, sondern Deutungen. Wir müssen im Unterricht diskutieren und hinterfragen, welche Interpretationen von Geschichte in einer Gesellschaft angeboten werden und welche Schlussfolgerungen für die Zukunft darin enthalten sind.

Damit es nicht so abstrakt bleibt: Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein Beispiel ist die Geschichte der Deutschen Einheit, deren Jubiläum jetzt bald bevorsteht. Die dominierende Erzählung ist, dass die Menschen in der DDR sehr unzufrieden waren und mit einer „friedlichen Revolution“, vor allem mit Kirchenvertretern an der Spitze, den DDR-Staat zum Zusammenbruch geführt haben. Dazu gibt es gleich mehrere Comics. Dabei wird aber viel ausgeblendet, z. B. die Zusammenhänge der globalen Wirtschaftspolitik oder die mangelnde Rückendeckung aus Russland für einen Militärschlag. Wir lernen viel über die heutige Gesellschaft, wenn wir uns den Umgang mit Geschichte anschauen und unterschiedliche Erzählungen miteinander vergleichen. Helmut Kohl etwa hat sich sehr kritisch zu den dominanten Erzählungen zur Friedlichen Revolution geäußert und ganz andere Deutungen vertreten und damit Schlussfolgerungen nahegelegt. Das hat er zwar nicht in einem Comic verarbeitet, aber der Vergleich eines Geschichtscomics mit anderen solchen Deutungen ist sehr lehrreich. Es gibt aber auch andere Beispiele, etwa Geschichtscomics zum Holocaust oder zum Ersten Weltkrieg. Damit kann auch thematisiert werden, wie diese Geschichten in anderen Ländern erzählt werden.

Ist das für Schüler/innen nicht unheimlich kompliziert, einen Stoff zu lernen und ihn dabei immer gleich zu hinterfragen?

Ja, das ist komplex und anspruchsvoll – aber aus meiner Sicht unbedingt notwendig für einen demokratischen Unterricht in einer globalisierten Welt. Jede Generation muss die Chance bekommen, das herrschende Bild der Geschichte zu hinterfragen und selbst zu entscheiden, wie sie damit umgeht. Und nur so werden die Schüler zu Bürgern, die sich für Demokratie und Pluralismus einsetzen.

Die Fortbildung „Comics als Unterrichtsgegenstand von der Grundschule bis zum Gymnasium“ findet am 15. September 2015 an der Universität Paderborn statt. Initiiert wurde die Tagung von Juniorprofessorin Corinna Koch, die selbst zum Comic im Fremdsprachenunterricht referiert. Weitere Workshops beschäftigen sich fächerspezifisch mit Comics im Sachunterricht, in den Sozialwissenschaften, in Religion und Kunst. Weitere Infos:

http://go.upb.de/Comics


 

Interview: Frauke Döll

Ausschnitt Coverbild (© avant-verlag)
Ausschnitt Coverbild (© avant-verlag)
Foto (Universität Paderborn, Frauke Döll):  Bildungsexperte Prof. Dr. Johannes Meyer-Hamme plädiert für einen Geschichtsunterricht, der gängige Erzählungen historischer Ereignisse hinterfragt und damit ein demokratisches und pluralistisches Weltbild
Foto (Universität Paderborn, Frauke Döll): Bildungsexperte Prof. Dr. Johannes Meyer-Hamme plädiert für einen Geschichtsunterricht, der gängige Erzählungen historischer Ereignisse hinterfragt und damit ein demokratisches und pluralistisches Weltbild fördert.
Coverbild (© avant-verlag): DDR-Geschichte im Comic-Format: Der Band „BERLIN - Geteilte Stadt“ erzählt fünf Lebensgeschichten rund um die Berliner Mauer. Auf der Fortbildung der Universität Paderborn bekommen Lehrerinnen und Lehrer konkrete Beispi
Coverbild (© avant-verlag): DDR-Geschichte im Comic-Format: Der Band „BERLIN - Geteilte Stadt“ erzählt fünf Lebensgeschichten rund um die Berliner Mauer. Auf der Fortbildung der Universität Paderborn bekommen Lehrerinnen und Lehrer konkrete Beispiele für Comics als Lehrmaterial an die Hand.