Die Mutter aller Medien

Prof. Dr. Paul Gévaudan untersucht, wie Sprache und Bedeutungswandel funktionieren

„Mit keinem Medium kann man sich so ausdrücken wie mit der Sprache. Sie ist das zentrale Mittel der Kommunikation zwischen uns Menschen und auch das Medium der Gedanken – die Basis unseres Welt- und Selbstverständnisses“, sagt Paul Gévaudan, Professor für Romanistische Sprachwissenschaft an der Fakultät für Kulturwissenschaften. Am Beispiel des Französischen und Spanischen geht er der Struktur und den Funktionsweisen von Sprache auf den Grund.

Paul Gévaudan untersucht etwa, wie sich die Bedeutung von Wörtern im Lauf der Zeit verändert, und welche Ursachen so ein Sprachwandel hat. Zu Gute kommt ihm dabei, dass die lateinische Sprachfamilie so gut dokumentiert ist wie keine andere. Vor 18 Jahren bereits hat er ein Datenbank-basiertes Online-Wörterbuch konzipiert, das die Entwicklung der romanischen Sprachen von der lateinischen Herkunft bis heute Schritt für Schritt analysiert. 2011 in seiner ersten Fassung publiziert, verfolgt das „Dictionaire Etymologique e Cognitife de Langue Romand – DECOLAR“ Körperbezeichnungen bis zu ihrem Ursprung, als nächstes sollen Objekte der Wahrnehmung, der Kommunikation und des Sagens folgen, dann Bezeichnungen von Speisen. „Im Unterschied zu anderen Wörterbüchern haben wir ein anthropozentrisches Konzept: Im Zentrum steht nicht das Universum, beginnend mit den Gestirnen, sondern der Mensch.“

"Sprache ist ein chaotisches und organisches System"

Neu ist neben dem digitalen Medium – Gévaudan hat zusätzlich ein Informatikstudium absolviert – und der inhaltlichen Ausrichtung auch der methodische Ansatz: Dabei verknüpft der Romanist kognitive Linguistik mit historischer Sprachwissenschaft und analysiert die semantische Beziehung zwischen Wörtern: „Wortbildungsprozesse erfolgen in der Regel assoziativ, d.h. wir verknüpfen und vergleichen in der Sprache ständig. Metaphern etwa beruhen auf solchen Assoziationen und gehören zu den wichtigsten Mechanismen für Bedeutungswandel. So wurde beispielsweise die ursprüngliche französische Bezeichnung für den Körperteil Kopf irgendwann zum Firmenleiter: Chef.“ Vor allem in Reden wollen die Sprecher expressiv sein und sich interessant ausdrücken, einige ihrer Wortschöpfungen werden dann nachgeahmt und setzen sich durch, erklärt Paul Gévaudan.

Sprache, fügt der Forscher hinzu, wird immer von den Sprechern gemacht und sie lässt sich auch nicht lenken. „Im Strukturalismus hat man versucht, Sprache in Ingenieursmanier zu erfassen. Aber das wird ihr nicht gerecht: Sie ist ein organisches, chaotisches und vor allem hochkomplexes System.“ Daher müssten auch Standards und Normsprache immer wieder an den tatsächlichen Sprachgebrauch angepasst werden.

Die soziale Funktion von Sprache

Im Bereich der externen Sprachwissenschaft, die sich genau mit diesem Sprachgebrauch beschäftigt, interessiert sich Paul Gévaudan vor allem für Dialekte und Mehrsprachigkeit. Er untersucht beispielsweise die Rolle des Französischen in Belgien, Luxemburg und der Schweiz oder die lateinamerikanischen Varianten des Spanischen: In Fragebögen und Interviews wird die gesprochene Sprache dokumentiert. „Vor allem in mehrsprachigen Nationen ist das ein Politikum. Auch die Definition von Standard oder Dialekt. Was ist überhaupt ein Dialekt und wo sind seine Grenzen?“

In einem neuen Forschungsprojekt geht der Wissenschaftler vor allem der sozialen Funktion von Sprache nach: Er studiert Komplementsätze. Das sind Nebensätze, die mit „dass“ eingeleitet werden und von Verben des Sagens und Meinens abhängen. „Meine Hypothese ist, dass solche Satzkonstruktionen die häufigste Form sind, in die Perspektive eines anderen hineinzugehen, z. B. ‚Peter sagt, dass Maria krank ist.‘ Dieses Phänomen der Polyphonie, also der Mehrstimmigkeit, kommt extrem oft in der mündlichen Sprache vor, und zeigt, wie wichtig der soziale Austausch für unsere Identitätskonstruktion ist.“

Text: Frauke Döll

Kontakt: Prof. Dr. Paul Gévaudan, H 2.115, 05251 602384

Prof. Dr. Paul Gévaudan/ Foto: Universität Paderborn, Frauke Döll