Die Soap-Opera des 19. Jahrhunderts

Jun.-Prof. Dr. Hendrik Schlieper erforscht, welche Funktion Literatur in der Gesellschaft erfüllt

„Literatur ist ein Proberaum für neue Lebensmodelle.“ Dieser Hypothese geht Literaturwissenschaftler Hendrik Schlieper unter anderem am Beispiel des Theaters der französischen Klassik und des spanischen Romans im 19. Jahrhundert nach. Er ist neuer Juniorprofessor für Komparatistik an der Fakultät für Kulturwissenschaften.

Im Theater der Frühen Neuzeit sieht Hendrik Schlieper bereits die Grundlagen moderner Geschlechterentwürfe. Hier werde sehr deutlich, wie auf der Bühne Gesellschaftsstrukturen ausgehandelt und moderne Modelle vorweggenommen werden. „Das Theater ist ein Erprobungs- oder Möglichkeitsraum, um alternative Lebensentwürfe und Rollenverständnisse auszuprobieren.“ Und wie die Kultur Frankreichs insgesamt eine maßgebende dieser Zeit gewesen sei, hätte auch das französische Theater des 17. Jahrhunderts eine wichtige Vorbildfunktion über zeitliche und nationale Kontexte hinaus gehabt.

Auch am Beispiel des Romans im 19. Jahrhundert untersucht Hendrik Schlieper, welche Bedeutung diese literarischen Zeugnisse für die zeitgenössische Gesellschaft hatten. „Das war die Zeit, in der die Demokratisierung von Literatur begann. Die Romane wurden in Fortsetzungen in der spanischen Tagespresse veröffentlicht und so vielen Menschen zugänglich gemacht. Sie waren so etwas wie die Soap-Operas der damaligen Zeit.“

Literatur in unserem Alltag präsenter denn je

Hendrik Schlieper widmet sich nicht nur den künstlerischen Aspekten von Literatur, sondern auch und vor allem ihrer gesellschaftlichen Einbettung. „Mich interessieren kulturwissenschaftliche Fragestellungen: Unter welchen Bedingungen entstehen literarische Texte? Wie werden sie rezipiert und was sagt das über die Bedürfnisse ihrer Leserschaft aus? Welche Funktion erfüllt Literatur für die Menschen und für menschliches Zusammenleben?"Neuberufene im Porträt

Neuberufene im PorträtUnter diesem Blickwinkel beobachtet der Wissenschaftler auch Gegenwartsliteratur und ihren Stellenwert in der Gesellschaft. Anhand von öffentlicher Kommunikation über Auszeichnungen wie den Literaturnobelpreis oder Präsentationen von Literatur bei Buchmessen analysiert er die aktuellen Diskurse über Literatur, die aus seiner Sicht nichts von ihrer Präsenz und Wirkung verloren haben. Im Gegenteil: Auch heute, in Zeiten neuer Medien, habe Literatur großen Einfluss auf unseren Alltag und sei präsenter denn je. „Auch heute vermag ein Harry Potter oder eine Shades of Grey-Triologie einen Hype auszulösen. Wenn man den Begriff ‚Text‘ außerdem in einem weiten Sinne versteht, können auch moderne Kommunikationsformen, selbst E-Mails und Kurznachrichten wie WhatsApp – als Nachfolge der Briefkultur –, literatur- und kulturwissenschaftlich aufschlussreich sein. Sich künstlerisch in Sprache auszudrücken und Geschichten zu erzählen, über sich und die Welt, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Daher wird Literatur, in welcher Form auch immer, Bestand haben.“   

Text: Frauke Döll

Kontakt: Jun.-Prof. Dr. Hendrik Schlieper, H4.201, 05251 60-5425

Jun.-Prof. Dr. Hendrik Schlieper/ Foto: Universität Paderborn, Frauke Döll